Montag, 30. Januar 2012

Arno Geiger: Der alte König in seinem Exil

188 S., Büchergilde Gutenberg, 15,90 €, ISBN 978-3-7632-6445-2

Über das 2011 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominierte neueste Werk von Arno Geiger ist inhaltlich nicht allzuviel zu sagen. Arno Geiger beschreibt liebevoll beobachtend die Krankheit seines Vaters: Demenz.

Offen bekennt er, dass die Familie erst viel zu spät das Verhalten des Vaters als Krankheit versteht. Er soll sich zusammen reißen, meinen die Kinder und sich nicht so hängen lassen. Der Vater entzieht sich kritischen Situationen, die er schon lange nicht mehr beherrscht, in denen er sich nicht mehr sicher fühlt.

Er überlässt die Gartenarbeit den Kindern und weicht zunehmend personellen Fragen aus. Seine Mutter ist längst tot, doch August Geiger erkundigt sich immer wieder nach ihrem Befinden. Und Arno und seine Geschwister müssen lernen: die Wahrheit ist nicht immer das Beste für einen dementen Menschen. Alles, was ihn beruhigt, läßt das Leben mit ihm leichter werden - Aufregung nützt keinem.

Arno Geiger wollte seinem Vater kein Denkmal setzen, er wollte das Buch veröffentlichen, bevor sein Vater stirbt. Die Krankheit begleitet ihn bereits seit über einem Jahrzehnt, zeitweilig sogar mit Hoffnung auf Besserung. Letztendlich wird August dann doch in ein Pflegeheim gegeben, weil keine der ungelernten Pflegerinnen mehr Herr wird über die unberechenbaren Auswirkungen der Demenz.

Aber die Krankheit beherrscht nicht dieses Buch, sie ist vielmehr Anlass, die Geschichte seiner Eltern zu reflektieren, die sich trennten, bevor der Vater nach und nach sein Gedächtnis verliert.

Bei all der Tragik ist "Der alte König in seinem Exil" kein trauriges Buch. Geiger erzählt die Geschichte vielmehr mit einem Schmunzeln, den die Situationskomik im Alltag manchmal mit sich bringt. Liebevoll sind die Personen geschildert, voll Achtung und Ehrfurcht vor dem gelebten Leben.

In jedem Fall lesenswert.

Sonntag, 22. Januar 2012

Marie-Sabine Roger: Der Poet der kleinen Dinge

238 S., Hoffmann und Campe, 18,99 €, ISBN 978-3-455-40095-3

Marie-Sabine Roger ist vielen bereits bekannt durch ihr Werk "Das Labyrinth der Wörter", welches mit Gérard Depardieu verfilmt wurde. Dieses Buch habe ich leider bisher noch nicht gelesen. Aber den "Poet der kleinen Dinge" kann ich uneingeschränkt empfehlen.

Der Roman ist die Geschichte einer Reihe von Außenseitern. Angefangen von Alex, die es nie lange in einem Ort hält und jeden Job annimmt, der sich ihr in ihrer neuen Wahlheimat auf Zeit bietet. Weiter geht es mit Gérard, genannt Roswell, dem geistig und körperlich behinderten Bruder von Alex' Gastfamilie.

Beide verbindet bald soetwas wie Freundschaft, Alex nimmt Roswell mit nach draußen auf Spaziergänge. Dort begegnet sie eines Tages einem weiteren seltsamen Pärchen: dem dicken Olivier und dem depressiven Cédric. In einer brenzligen Situation helfen die beiden Alex und ihrem behinderten Freund. Daraus entwickelt sich eine Kameradschaft, die sie auf weitere Abenteuer führt.

Dieses kleine Büchlein liest sich weg wie nichts und am Ende möchte man doch, dass es weiter geht. Diese Truppe hat man lieb gewonnen mit all ihren Macken und Unzulänglichkeiten, aber gleichzeitig mit soviel Wärme, dass man sie am liebsten in die Arme schließen würde.

Für alle, die die Kälte unserer Gesellschaft bemängeln, eine heilsame Lektüre!

Mittwoch, 18. Januar 2012

Antonia Baum: Vollkommen leblos, bestenfalls tot

238 S., Hoffmann und Campe, 19,99 €, ISBN 978-3-455-40296-4 

Antonia Baums Romandebut ist harter Tobac. Ein exzessiver Schreibstil mischt sich mit einer deprimierenden Geschichte.

Die Ich-Erzählerin hadert mit sich, ihrer Familie, ihrer nicht existenten Zukunft und mit der Leere der Gesellschaft. Der Schein der Individualisten, für die eine gute Story, eine Frau als Trophäe an der Seite eines erfolgreichen Mannes, ein Apple-Computer mehr gilt als ein Lebensziel.

Alle Möglichkeiten offen, kehrt die Heldin ihrem Elternhaus den Rücken und sucht ihr Glück in der Stadt, landet dort bei einem Lifestyle-Blatt und irgendwie bei Patrick, bei dem sie wohnt, der sie aber besitzergreifend zu beherrschen sucht.

Die Beobachtungsgabe der Autorin ist immens. Gerade im ersten Teil wurde ich sprachlich mitgerissen und fand soviele Charaktere toll beschrieben - bissig und böse. Solche Typen gibt es zu Hauf in dieser Gesellschaft und einem bodenständigen Menschen wie mir, sind sie suspekt und zuwider.

Doch die Geschichte geht weiter. Die Protagonistin geht eine neue Beziehung ein, versucht sich im Studium und scheitert überall. Sie sieht keinen Sinn für sich in der Welt und denkt immer mehr über die einzig logische Konsequenz nach.

Auch wenn die Beschreibungen und Statements auch im zweiten Teil des Buches durchaus treffend sind, so nervte mich zunehmend dieser Zynismus ohne positiven Ausblick. Die Aneinanderreihung langer Sätze, manchmal über Seiten ohne Absatz empfand ich am Ende nur noch als anstrengend.

Ein wenig mehr Luft zum Atmen, um das Beschriebene sacken zu lassen, hätte dem Buch gut getan.


Freitag, 13. Januar 2012

Kristina Ohlsson: Aschenputtel


 
476 S., Limes, 19,99 €, ISBN 978-3-8090-2591-7

Schwedische Krimis sind nun schon seit einiger Zeit ein Garant für niveauvolle und spannende Unterhaltung. Kristina Ohlsson versucht in die Fußstapfen der großen Meister wie Henning Mankell, Ake Edwarson oder Stieg Larsson zu treten und für den Anfang ist ihr das schon ganz gut gelungen, wenn sie auch noch nicht ganz an diese heranreicht.

Spannungsreich ist der Krimi in jedem Fall und hält den Leser bis zum Ende in Atem. Lang schien der Fall nur aus losen Fäden zu bestehen, die nicht wirklich zueinander passen wollen, doch am Ende ist doch alles miteinander verbunden.

Und dies zur Story: Währrend einer Zugreise verschwindet ein Mädchen aus diesem Zug, aus dem die Mutter bei einem kurzen Halt aussteigt, um ein Telefonat zu führen. Der Zug fährt ohne die Mutter ab und beim nächsten Halt ist das Kind nicht mehr auffindbar. Nur wenige Menschen können sich an das Mädchen erinnern.

Erst gehen die Ermittler von einer Entführung durch den Vater aus, der von der Mutter getrennt lebt und bereits gewaltätig wurde. Doch dieser ist nirgends aufzutreiben. Bereits am nächsten Tag ist das Kind tot und die Polizei tappt weiterhin im Dunkeln: warum wurde das Kind skalpiert und das Haar zusammen mit den Anziehsachen an die Eltern geschickt? Warum wurde es nackt gefunden und warum in einer ganz anderen Stadt direkt vor einer Klinik?

Bald darauf wird wieder ein Kind entführt - diesmal ein Baby. Eine Verbindung der Familien oder Hintergründe scheint es nicht zu geben. Aber die Spuren der Taten zeichnen eindeutig dieselbe Handschrift.

Die Erzählweise des Romans ist sehr nüchtern, Fakten werden an Fakten gereiht. Die Spannung ergibt sich durch die Herausforderung, selber Schlüsse zu ziehen aus rein logischen Zusammenhängen. Ohlsson versucht zwar, uns die Ermittler Alex und Peder sowie ihre Zivilkollegin Fredrika nahe zu bringen, aber irgendwie bin ich mit ihnen nicht warm geworden. Trotz unterschiedlicher persönlicher Biografien blieben sie mir zu oberflächlich. Vielleicht liegt es an der Übersetzung, denn eigentlich ist es schade, denn so, wie sie angelegt sind, kann man vermuten, "Aschenputtel" ist der Auftakt zu einer Reihe, in der der Leser den Ermittlern wieder begegnet.

Dem Buch hätte ein wenig mehr "Action" gut getan. Auch hatte ich auch ein Problem mit der Hervorsehbarkeit am Ende. Ich wußte schon viele Seiten vorher, welche Gemeinsamkeit die beiden Fälle hatten und wie die Beweggründe des Täters sind.

Dennoch finde ich, dass es ein gelungenes Debüt ist und es wird für mich sicher nicht das letzte Buch von Kristina Ohlsson sein.