219 S., Büchergilde Gutenberg, 15,90 €, ISBN 978-3-7632-5974-8
Paul Austers "Mann im Dunkel" ist ein kleines Kabinettsstück, welches den Leser in die Vergangenheit, in die Gegenwart und in die Gedanken des ehemaligen Literaturkritikers August Brill, der krank im Rollstuhl sitzt und nachts nicht schlafen kann, bringt.
Um den Gedanken an die schrecklichen Geschehnisse rund um seine Familie zu entfliehen, denkt er sich eine Geschichte aus. Ein Mann wacht in einer Grube auf und weiß nicht, wie er hineingekommen ist. Er befreit sich, macht sich auf die Suche und erfährt, dass er sich zwar im Jahre 2007, aber in einem Bürgerkrieg befindet, die die Vereinigten Staaten untereinander führen.
Um in sein altes Leben zurückzukehren, wird er beauftragt, einen Mann zu töten. Den Mann, dem der Bürgerkrieg zu verdanken ist - August Brill. Denn nur in dessen Gedanken existiert dieser Krieg, indem soviele Menschen sterben müssen.
Soweit zum ersten Teil des Buches.
Die Nacht schreitet voran und Brills Enkelin, die ein traumatisches Ereignis hinter sich hat und seitdem im Haus ihrer Mutter wohnt, in dem auch August Brill Zuflucht gesucht hat, klopft an dessen Tür. Sie reden über vieles, über Brills Vergangenheit, seine große Liebe Sonia, ihren Tod und über die Tragödie, die alle vereint und nicht schlafen läßt.
Anfangs fand ich die Geschichte sehr skurril. Zunehmend nahm sie mich aber in den Bann. Die Idee, eine Geschichte in der Geschichte zu erzählen, gefiel mir, auch den Bogen, den diese zurück zu Brill bringt, hat etwas. Warum er diesen spannt, bleibt der Interpretation des Lesers überlassen: Selbstmordgedanken, moralische Verantwortung oder einfach nur Stilmittel? Man kann vieles daraus lesen.
In der Mitte des Buches dann der Wechsel in die Gegenwart. Der Ausgangspunkt wird wieder hergestellt, wir erfahren, von welchen Gedanken sich die Familie ablenken will, warum Großvater und Enkelin nicht schlafen können. Eine Rückkehr in das Kopfkino erwarten wir vergeblich.
Hochpolitisch ist das Buch, mit zahlreichen Anspielungen auf den Terror der Neuzeit, der auch anders hätte stattfinden können. 9/11, Irak oder Bürgerkrieg. Amerika als Ganzes ist traumatisiert. In der geschaffenen Parrallel-Traumwelt tobt sich Auster aus, um dann im Hier und Jetzt eine eigene Tragik zu erleben.
Am Ende bleibt ein Satz: "Die wunderliche Welt dreht sich weiter" und dieser Satz läßt hoffen, dass die Familie ihren Frieden macht mit ihrer Vergangenheit und alle wieder schlafen können.
Donnerstag, 29. November 2012
Montag, 26. November 2012
Weihnachtliche Lesetipps
Da Weihnachten nicht mehr lang hin ist und gerade die Adventszeit zum Lesen und Vorlesen lockt, will ich heute von Euch wissen, welche Bücher und Geschichten mit weihnachtlichem Ambiente ihr kennt und empfehlen könnt.
Mein ultimatives Weihnahtsbuch ist "Das Fest" von John Grisham - bissig und höchst amüsant. Dickens "Weihnachtsgeschichte" hingegen finde ich viel zu rührselig, auch wenn sie ein Klassiker ist.
Also her mit Euren Vorschlägen, damit ich in der Vorweihnachtszeit auch guten Lesestoff habe.
Ich freue mich auf alle Kommentar!
Mein ultimatives Weihnahtsbuch ist "Das Fest" von John Grisham - bissig und höchst amüsant. Dickens "Weihnachtsgeschichte" hingegen finde ich viel zu rührselig, auch wenn sie ein Klassiker ist.
Also her mit Euren Vorschlägen, damit ich in der Vorweihnachtszeit auch guten Lesestoff habe.
Ich freue mich auf alle Kommentar!
Mittwoch, 21. November 2012
Timur Vermes: Er ist wieder da
396 S., Eichborn, 19,33 €, ISBN 978-3-8479-0517-2
Ich war doch neugierig geworden auf dieses Buch, da ich einige positive Kritiken gelesen habe und ich wissen wollte, ob es an "Die Nachhut", von dem ich so begeistert war, herankommt.
Die Grundidee ist geklaut, soweit lege ich mich fest, auch wenn es hier Hitler selbst ist, der plötzlich "wieder da" ist und er sich schnell mit der aktuellen Situation abfindet und ganz anders agiert als die "Nachhut". Er wacht auf einem leerstehenden Grundstück auf, etwas verstaubt und reichlich nach Benzin stinkend. Wie das möglich ist 66 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges bleibt ein Rätsel und wird nicht weiter erklärt - was ich bereits als ersten großen Fauxpas empfinde.
Nach dem ersten Schrecken der Erkenntnis, in welchem Jahr er sich befindet, landet Hitler in einem Kiosk. Der Besitzer kümmert sich rührend um ihn und meint, in ihm einen genialen Imitator gefunden zu haben. Da dieser einige Leute von Filmproduktionen kennt, empfiehlt er Hitler weiter und bald sieht sich dieser in einer Comedyshow wieder, die er jedoch nicht als solche erkennt und für einen neuen Propagandafeldzug nutzen will.
Das gelingt ihm auch ordentlich, das Publikum ist begeistert, dass hier einer auf satirische Weise ausspricht, was sie denken. Sie lachen über seine "Witze", ernst nimmt das Gerede keiner. Den Finger in die wunden Stellen Deutschlands scheint der auferstandene Hitler zu legen und das mit zunehmenden Erfolg.
Die Produktionsfirma steht stramm und gibt ihm zuliebe gar den Hitlergruß. Da bleibt dem Leser doch das Lachen im Halse stecken. Überhaupt fand ich das Werk nur leidlich lustig. Echte Pointen gibt es nur wenige, die meisten Schmunzeleinlagen sind so böse, dass ich sie grenzwertig finde.
Genau wie Hitler im Buch nach seiner Vergangenheit und Gesinnung gefragt wird, so stellt sich mir die Frage nach der Hintergrundmotivation des Autors. Wenn Hitler beispielsweise die Bild-Zeitung vorführt, so kann man sich insgeheim freuen über diesen gelungenen Schachzug. Auch die NPD bekommt ihr Fett weg und wird der Lächerlichkeit preisgegeben. Aber sollte man mit Hitler lachen können? Und sollte man einigen seiner Ausführungen innerlich zustimmen, vor allem, wenn es fraglich ist, ob er tatsächlich so denken würde, lebte er wirklich in der heutigen Zeit?
Ich konnte nicht immer alles nachvollziehen und bezweilte an vielen Stellen, dass ein Adolf Hiter so reden würde. Wahrscheinlich wollte der Autor genau dies bezwecken: wir sollen begreifen, wie leicht es ist, den Ansichten zu folgen, wie schnell es gehen kann, dass ein echter "Führer" uns wieder verführt.
Dies ist ein löbliches Anliegen, jedoch hat mich das Buch nicht überzeugt. Es ist gut geschrieben und hier und da fehlt es nicht an Witz - leider aber an Logik. Hitler erliest sich sehr schnell seine Situation: er ist über 100 Jahre alt, der Krieg ist zuende, die Grenzen des "Reiches" sind völlig anders als von ihm geplant und er selbst gilt als tot. Dennoch scheint er nicht zu begreifen, warum ihn alle nach seinem "richtigen" Namen fragen und sich wundern, warum er seinen Bart und seine Uniform außerhalb der Auftritte nicht ablegen will. Von derlei Unstimmigkeiten wimmelt das Buch. Das hat mich eigentlich am meisten gestört. Anpassung an die neue Zeit - ja, aber der Mensch Hitler lebt, als hätte es seinen Tod offiziell nicht gegeben. Sehr seltsam.
Fazit: "Die Nachhut" bleibt unangefochten. Die Grundidee ist nun mal kein Garant für kluge Literatur. Eines wird der Autor dennoch erreichen. Das Buch wird sich verkaufen und das noch nicht mal zu unrecht. Geeignet für eine kontroverse Diskussion ist es allemal.
Ich war doch neugierig geworden auf dieses Buch, da ich einige positive Kritiken gelesen habe und ich wissen wollte, ob es an "Die Nachhut", von dem ich so begeistert war, herankommt.
Die Grundidee ist geklaut, soweit lege ich mich fest, auch wenn es hier Hitler selbst ist, der plötzlich "wieder da" ist und er sich schnell mit der aktuellen Situation abfindet und ganz anders agiert als die "Nachhut". Er wacht auf einem leerstehenden Grundstück auf, etwas verstaubt und reichlich nach Benzin stinkend. Wie das möglich ist 66 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges bleibt ein Rätsel und wird nicht weiter erklärt - was ich bereits als ersten großen Fauxpas empfinde.
Nach dem ersten Schrecken der Erkenntnis, in welchem Jahr er sich befindet, landet Hitler in einem Kiosk. Der Besitzer kümmert sich rührend um ihn und meint, in ihm einen genialen Imitator gefunden zu haben. Da dieser einige Leute von Filmproduktionen kennt, empfiehlt er Hitler weiter und bald sieht sich dieser in einer Comedyshow wieder, die er jedoch nicht als solche erkennt und für einen neuen Propagandafeldzug nutzen will.
Das gelingt ihm auch ordentlich, das Publikum ist begeistert, dass hier einer auf satirische Weise ausspricht, was sie denken. Sie lachen über seine "Witze", ernst nimmt das Gerede keiner. Den Finger in die wunden Stellen Deutschlands scheint der auferstandene Hitler zu legen und das mit zunehmenden Erfolg.
Die Produktionsfirma steht stramm und gibt ihm zuliebe gar den Hitlergruß. Da bleibt dem Leser doch das Lachen im Halse stecken. Überhaupt fand ich das Werk nur leidlich lustig. Echte Pointen gibt es nur wenige, die meisten Schmunzeleinlagen sind so böse, dass ich sie grenzwertig finde.
Genau wie Hitler im Buch nach seiner Vergangenheit und Gesinnung gefragt wird, so stellt sich mir die Frage nach der Hintergrundmotivation des Autors. Wenn Hitler beispielsweise die Bild-Zeitung vorführt, so kann man sich insgeheim freuen über diesen gelungenen Schachzug. Auch die NPD bekommt ihr Fett weg und wird der Lächerlichkeit preisgegeben. Aber sollte man mit Hitler lachen können? Und sollte man einigen seiner Ausführungen innerlich zustimmen, vor allem, wenn es fraglich ist, ob er tatsächlich so denken würde, lebte er wirklich in der heutigen Zeit?
Ich konnte nicht immer alles nachvollziehen und bezweilte an vielen Stellen, dass ein Adolf Hiter so reden würde. Wahrscheinlich wollte der Autor genau dies bezwecken: wir sollen begreifen, wie leicht es ist, den Ansichten zu folgen, wie schnell es gehen kann, dass ein echter "Führer" uns wieder verführt.
Dies ist ein löbliches Anliegen, jedoch hat mich das Buch nicht überzeugt. Es ist gut geschrieben und hier und da fehlt es nicht an Witz - leider aber an Logik. Hitler erliest sich sehr schnell seine Situation: er ist über 100 Jahre alt, der Krieg ist zuende, die Grenzen des "Reiches" sind völlig anders als von ihm geplant und er selbst gilt als tot. Dennoch scheint er nicht zu begreifen, warum ihn alle nach seinem "richtigen" Namen fragen und sich wundern, warum er seinen Bart und seine Uniform außerhalb der Auftritte nicht ablegen will. Von derlei Unstimmigkeiten wimmelt das Buch. Das hat mich eigentlich am meisten gestört. Anpassung an die neue Zeit - ja, aber der Mensch Hitler lebt, als hätte es seinen Tod offiziell nicht gegeben. Sehr seltsam.
Fazit: "Die Nachhut" bleibt unangefochten. Die Grundidee ist nun mal kein Garant für kluge Literatur. Eines wird der Autor dennoch erreichen. Das Buch wird sich verkaufen und das noch nicht mal zu unrecht. Geeignet für eine kontroverse Diskussion ist es allemal.
Dienstag, 13. November 2012
Ingo Schulze: Simple Storys
302 S., Berlin Verlag, ISBN 3-8270-0051-3, 19 €
Dieses - als großer Wurf der Nachwendezeit gefeierte - Buch über kleine, aneinandergereihte Schicksale ehemaliger DDR-Bürger ist bereits einige Jährchen alt. Die Erstveröffentlichung war 1998. Ich habe das Buch erst jetzt gelesen und finde wenig von der ostdeutschen Besonderheit. Vielmehr lesen sich die Geschichten, als ob sie auch heute noch in allen Teilen des Landes geschehen können.
Es geht um die alltäglichen Dinge, um Politik und Zivilcourage, von Trennung und Patchworkfamilien, von neuen Jobs, großen Träumen und großen Niederlagen, von Reisen in die weite Welt und Geldmangel allerorts.
Sicher werden immer wieder Aspekte persönlicher, nur in der DDR möglicher, Schicksale eingeflochten. Diese sind aber nicht wirklich maßgeblich für das was den Protagonisten geschieht. In dieser Hinsicht hätte ich mir mehr von diesem Buch erwartet.
Die Mischung finde ich dennoch gelungen. Die einzelnen Geschichten greifen im Laufe des Buches alle irgendwie ineinander über. Die Ansiedlung in einer Kleinstadt (Altenburg) liegt somit auch auf der Hand: in kleinem Rahmen kennt jeder jeden über drei Ecken und so fügen sich "Short Storys" zu einer Art Roman.
Nachwendeschicksale politisch Verantwortlicher und politisch Verfolgter findet man in diesem "Roman aus der ostdeutschen Provinz" jedoch nicht. Vielleicht wollte der Autor gerade die Unauffälligen porträtieren, vielleicht vermied er aber auch aus Angst vor Missverständnissen und aus Angst vor kritischer Auseinandersetzung die brisanten Themen.
Deshalb ein wenig schade um das Buch.
Dieses - als großer Wurf der Nachwendezeit gefeierte - Buch über kleine, aneinandergereihte Schicksale ehemaliger DDR-Bürger ist bereits einige Jährchen alt. Die Erstveröffentlichung war 1998. Ich habe das Buch erst jetzt gelesen und finde wenig von der ostdeutschen Besonderheit. Vielmehr lesen sich die Geschichten, als ob sie auch heute noch in allen Teilen des Landes geschehen können.
Es geht um die alltäglichen Dinge, um Politik und Zivilcourage, von Trennung und Patchworkfamilien, von neuen Jobs, großen Träumen und großen Niederlagen, von Reisen in die weite Welt und Geldmangel allerorts.
Sicher werden immer wieder Aspekte persönlicher, nur in der DDR möglicher, Schicksale eingeflochten. Diese sind aber nicht wirklich maßgeblich für das was den Protagonisten geschieht. In dieser Hinsicht hätte ich mir mehr von diesem Buch erwartet.
Die Mischung finde ich dennoch gelungen. Die einzelnen Geschichten greifen im Laufe des Buches alle irgendwie ineinander über. Die Ansiedlung in einer Kleinstadt (Altenburg) liegt somit auch auf der Hand: in kleinem Rahmen kennt jeder jeden über drei Ecken und so fügen sich "Short Storys" zu einer Art Roman.
Nachwendeschicksale politisch Verantwortlicher und politisch Verfolgter findet man in diesem "Roman aus der ostdeutschen Provinz" jedoch nicht. Vielleicht wollte der Autor gerade die Unauffälligen porträtieren, vielleicht vermied er aber auch aus Angst vor Missverständnissen und aus Angst vor kritischer Auseinandersetzung die brisanten Themen.
Deshalb ein wenig schade um das Buch.
Samstag, 3. November 2012
Jan Brandt: Gegen die Welt
927 S., Büchergilde Gutenberg, 19,95 €, ISBN 978-3-7632-6511-4
Alles, was Daniel Kuper auch in seinem Leben tut, ist "gegen die Welt". Ob er angeblich von Außerirdischen entführt und wieder im Kornfeld freigelassen wird, ob er angeblich Hakenkreuze an die Wände seines westdeutschen Heimatdorfes Jericho pinselt, ob er angeblich verantwortlich ist für den Freitod eines Klassenkameraden auf den Schienen.
So jedenfalls sehen es seine werten Dorfmitbewohner. Und selbst seine Eltern glauben ihm nicht, dass er immer wieder in Situationen gerät, an denen er weder Schuld hat, noch das getan hat, was ihm unterstellt wird. Und dies nur, weil er irgendwie dazu gehören will.
Das Spießbürgertum und die Dekadenz der Jerichower Bürger lassen Daniel keinen Raum für seine überbordende Phantasie und Grundintelligenz. Er wird zur Figur, die für alles verantwortlich gemacht wird, was schief läuft im Dorf.
Aber eigentlich ist das Buch ein Sammelsurium skurriler Geschichten. Hard - Daniels Vater - zum Beispiel, liebt seine Frau, hat aber einige Affairen gleichzeitig und wie er diese händelt, ist allemal ein Schmunzeln wert. Oder Daniels Freund Onno, der Musikenthusiast, der sich ausgerechnet die Bühne wählt für seinen spektakulären Abtritt. Oder Stefan, der sich verfolgt fühlt von Außerirdischen, die seiner Ansicht nach die Welt erobern, indem sie sich den Menschen als Wirt bemächtigen.
Im Laufe des Romans fragt man sich als Leser, wohin uns die Geschichte führen will, was ist die Essenz. Aber sie lebt wie jeder große Roman von der Schilderung alltäglicher Ereignisse, die ein Porträt einer Zeit sind. In diesem Fall die Zeit kurz vor und nach der Wiedervereinigung. Welche Auswirkungen die Einheit für die westdeutschen Provinzler hat, wie sie zu den zugezogenen Ostdeutschen im kurzerhand umgetauften "Kumponistenviertel" stehen. Wie schwer der Kampf der kleinen Läden gegen die sich geschwürartig ausbreitenden Filialisten wurde. Wie sich die Wahl der Schulform auf das gesellschaftliche Umfeld der Jugendlichen auswirkt.
Am Ende bleibt es dem Leser überlassen, ob er an eine Verkettung vieler seltsamer Umstände glaubt oder sie als Folge der Beschränktheit der Dorfbewohner hält. Oder ist es gar der Einfluss der Außerirdischen, der für die gesammelten Absurditäten von Jericho (welch bezeichnender Name!) verantwortlich ist? Ich selbst war geneigt, dem letzten Glauben zu schenken. Mich amüsiert dieser Gedanke.
Brandt bedient sich außerdem mit gewisser Freude drucktechnischer Stilmittel, die dem Buch einen gewissen Kick geben. So wird beispielsweise für ca. 150 Seiten das Buch zweigeteilt und zwei Erzählperspektiven parallel geführt. Solche Spielereien gibt es noch weitere: Briefe haben eine Schreibmaschinenschrift mit handschriflichen Einschüben. Die Vernebelung des Geistes aufgrund von Alkohol oder Ohnmacht verblasst auch im Schriftbild.
"Gegen die Welt" ist ein wirklich lesenswerter Roman. Zur absoluten Begeisterung fehlte mir noch die große Klammer, die alles (wirklich schlüssig) zusammenhält. Dennoch war der Roman in meinen Augen zu Recht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2011. Eine Empfehlung!
Alles, was Daniel Kuper auch in seinem Leben tut, ist "gegen die Welt". Ob er angeblich von Außerirdischen entführt und wieder im Kornfeld freigelassen wird, ob er angeblich Hakenkreuze an die Wände seines westdeutschen Heimatdorfes Jericho pinselt, ob er angeblich verantwortlich ist für den Freitod eines Klassenkameraden auf den Schienen.
So jedenfalls sehen es seine werten Dorfmitbewohner. Und selbst seine Eltern glauben ihm nicht, dass er immer wieder in Situationen gerät, an denen er weder Schuld hat, noch das getan hat, was ihm unterstellt wird. Und dies nur, weil er irgendwie dazu gehören will.
Das Spießbürgertum und die Dekadenz der Jerichower Bürger lassen Daniel keinen Raum für seine überbordende Phantasie und Grundintelligenz. Er wird zur Figur, die für alles verantwortlich gemacht wird, was schief läuft im Dorf.
Aber eigentlich ist das Buch ein Sammelsurium skurriler Geschichten. Hard - Daniels Vater - zum Beispiel, liebt seine Frau, hat aber einige Affairen gleichzeitig und wie er diese händelt, ist allemal ein Schmunzeln wert. Oder Daniels Freund Onno, der Musikenthusiast, der sich ausgerechnet die Bühne wählt für seinen spektakulären Abtritt. Oder Stefan, der sich verfolgt fühlt von Außerirdischen, die seiner Ansicht nach die Welt erobern, indem sie sich den Menschen als Wirt bemächtigen.
Im Laufe des Romans fragt man sich als Leser, wohin uns die Geschichte führen will, was ist die Essenz. Aber sie lebt wie jeder große Roman von der Schilderung alltäglicher Ereignisse, die ein Porträt einer Zeit sind. In diesem Fall die Zeit kurz vor und nach der Wiedervereinigung. Welche Auswirkungen die Einheit für die westdeutschen Provinzler hat, wie sie zu den zugezogenen Ostdeutschen im kurzerhand umgetauften "Kumponistenviertel" stehen. Wie schwer der Kampf der kleinen Läden gegen die sich geschwürartig ausbreitenden Filialisten wurde. Wie sich die Wahl der Schulform auf das gesellschaftliche Umfeld der Jugendlichen auswirkt.
Am Ende bleibt es dem Leser überlassen, ob er an eine Verkettung vieler seltsamer Umstände glaubt oder sie als Folge der Beschränktheit der Dorfbewohner hält. Oder ist es gar der Einfluss der Außerirdischen, der für die gesammelten Absurditäten von Jericho (welch bezeichnender Name!) verantwortlich ist? Ich selbst war geneigt, dem letzten Glauben zu schenken. Mich amüsiert dieser Gedanke.
Brandt bedient sich außerdem mit gewisser Freude drucktechnischer Stilmittel, die dem Buch einen gewissen Kick geben. So wird beispielsweise für ca. 150 Seiten das Buch zweigeteilt und zwei Erzählperspektiven parallel geführt. Solche Spielereien gibt es noch weitere: Briefe haben eine Schreibmaschinenschrift mit handschriflichen Einschüben. Die Vernebelung des Geistes aufgrund von Alkohol oder Ohnmacht verblasst auch im Schriftbild.
"Gegen die Welt" ist ein wirklich lesenswerter Roman. Zur absoluten Begeisterung fehlte mir noch die große Klammer, die alles (wirklich schlüssig) zusammenhält. Dennoch war der Roman in meinen Augen zu Recht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2011. Eine Empfehlung!
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