Samstag, 15. September 2012

Petra Hammesfahr: Der stille Herr Genardy

333 S., Rowohlt, 8,50 €, ISBN 3-499-23030-5

Petra Hammesfahr ist eine der führenden deutschen Krimiautoren und zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich bisher noch kein Buch von ihr gelesen habe. Vor kurzem fiel mir aber dieser doch wohl sehr bekannte Roman von ihr in die Hände. Er wurde sogar erfolgreich verfilmt mit Iris Berben in der Rolle der Sigrid Pelzer.

Sigrid Pelzer ist eine unsichere Person, von ihrer Mutter immer lieblos behandelt, die kleine Schwester immer vorgezogen, heiratet sie den ersten Mann der ihr begegnet. Franz ist ein ganz Lieber. Er kümmert sich umsichtig um Sigrid und eigentlich kann sie sich gar nicht über ihn beklagen. Warum nur wird ihr ganz beklommen, wenn am Samstagabend der Liebesakt ansteht? Er ist doch ganz vorsichtig, dennoch verkrampft sich in ihr alles. Es fühlt sich falsch an.

Überhaupt hat Sigrid immer wieder "Gefühle". Sie träumt vor allem in unregelmäßigen Abständen vom Braunen, der ihr den Tod ankündigt. Drei Tage nach dem Traum stirbt ein Mensch in ihrer Nähe, jemanden, den sie gut kennt. Der Braune scheint sie warnen zu wollen, aber sie versteht ihn nicht. Wer ist diesmal gemeint? Und wie wird er umkommen? Auch Franz konnte sie nicht warnen. Sein Auto fuhr ungebremst auf einen Baum. Absicht oder Unfall?

Seitdem muss Sigrid allein klar kommen - sie und ihre achtjährige Tochter Nicole. Sie hat Mühe, das große Haus allein zu halten. Deshalb sucht sie eine Untermieterin, die sie auch mit großem Glück findet. Eine Idealbesetzung, die sich auch noch um ihre Tochter kümmert, während sie arbeitet. Die sogar im Haushalt hilft, die fast eine Art Ersatzmutter für Sigrid ist. Als diese wiederum auszieht, muss Sigrid schnell einen Nachmieter finden. Und obwohl sie unbedingt wieder eine ältere Frau dafür haben will, läßt sie sich von ihrer Mutter überrumpeln und vergibt die Wohnung an den doch so netten und stillen Herrn Genardy.

Aber von Anfang an ist ihr nicht wohl dabei. Ihre Wohnung ist nicht abschließbar, er kann jederzeit hereinplatzen. Und man hört ihn auch kaum, als ob er nur rumsitzt und lauscht. Und er ist so übertrieben liebenswürdig zu Nicole und ihrer Freundin Denise, die bald nicht mehr zu den Pelzers nach Hause kommen will. Ist es vielleicht wegen Herr Genardy?

Noch bevor Herr Genardy einzieht, verschwindet die kleine Tochter Nadine von Sigrids Kollegin Hedwig und drei Tage später wird sie tot aufgefunden - missbraucht. War Nadine gemeint, als der Braune das Letzte mal im Traum auftaucht? Aber Sigrid kennt sie doch kaum, auch stimmt der Todeszeitpunkt nicht. Oder ist vielleicht Herr Genardy selbst der Tod, den sich Sigrid ins Haus geholt hat?

"Der stille Herr Genardy" ist ein hochspannendes Buch, welches dennoch sensibel mit dem Thema Kindesmissbrauch umgeht. Im ersten Teil wechseln sich die Erzählperspektiven von Sigrid und Herr Genardy ab. Von Anfang an wird kein Zweifel an der Veranlagung des Genardy gelassen. Danach sieht man nur noch Sigrids Sicht - wie sie mit sich kämpft, mit ihren Visionen, mit ihrer Verantwortung zu ihrer Tochter, mit ihrer Hilfslosigkeit. Sie hat keine Beweise, aber ihr Gefühl überfällt sie, hält sie gefangen. Beklemmend ist das. Man möchte sie immer wieder schütteln, warum sie nichts sagt, warum sie ihre Ängste niemandem anvertraut.

Sie macht langsame Schritte, wägt ab. Erzählt irgendwann ihrem neuen Freund Günther von Franz und seiner Veranlagung. Sie weiß, wie so jemand tickt. Aber Franz hat kein Kind angefasst, dessen ist sich Sigrid sicher. Wie ist also einer, der nicht an sich halten kann, der eine echte Gefahr ist für ihr Kind? Was ist, wenn sie einen unschuldigen Menschen verdächtigt? Er ist doch immer so nett und zuvorkommend, der Herr Genardy.

Viel zu lange zögert sie. Aber irgendwann will sie es wissen, will es allein lösen, will erwachsen werden und es sich selbst beweisen: daß sie keinen Franz mehr braucht.

Unbedingt lesen!

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