"Rabenliebe" ist ein autobiographischer Roman. Wawerzinek arbeitet darin seine Kindheit als Heim- und Adoptivkind auf. Seine Mutter läßt ihn und seine Schwester allein und flieht in den Westen. Die Kinder bleiben in der DDR zurück.
Sechs Jahre verbringt Wawerzinek im Kinderheim. Er ist nicht daheim, aber auch nicht unglücklich. Er kennt es nicht anders. Zwei Adoptionsversuche scheitern, eine Integration in die Familien misslingt.
Die dritte jedoch gibt sich Mühe, ein Lehrerehepaar. Hier ist Wawerzinek unglücklich, er wünscht sich ins Heim zurück. Er kann und will nicht akzeptieren, dass er eine neue Mutter, einen neuen Vater haben soll. Ihm wird ein fremder Name übergestülpt, sie ziehen über seine leiblichen Eltern her und schauen sehr darauf, was die Außenwelt sagt. Als Kind kann er sich nicht entfalten, bleibt irgendwie unvollkommen. Er fühlt sich immer verlassen, er gehört nirgendwo dazu. Da kann auch keine Adoption helfen.
Erst in fortgeschrittenem Alter, als die Mauer längst gefallen ist, macht er sich auf die Suche nach seiner Mutter. Er hadert mit ihr, mit sich, mit dem Vorhaben, sie aufzusuchen. Eigentlich will er nicht und denkt doch, dass es sein muss. Um vollständig zu sein, um zu heilen - nein, eigentlich weiß er nicht, warum. Freunde drängen ihn, damit er weiß, warum er "Schädigungen an seinem Charakter" aufweist: Redelust, sein Drang, im Mittelpunkt zu stehen, dem Alkohol zugeneigt gepaart mit Kontrollverlust, Unstetigkeit und Verschwendungssucht - um nur ein paar zu nennen.
Als er seine Mutter wiedersieht, scheint es für sie, als wäre nichts geschehen, als lägen keine 50 Jahre dazwischen und sie ist so anders, als er sie sich immer ausgemalt hat. Er kommt zu Halbgeschwistern, mit denen ihn nichts eint. Denn sie sind nicht verstoßen worden, sie durften bleiben, sie durften Kind sein.
Das Buch ist gespickt mit Tatsachenberichten über vernachlässigte und von den eigenen Eltern getötete Kinder, später mit Zitaten aus dem Adoptionsgesetz. Das ist seine Art, sein Leben und seine verlorene Kindheit zu verarbeiten. Er ist nicht allein mit diesem Schicksal.
Immer wieder kreist der Autor um die Fragen "Warum". Wer bin ich? Wohin gehöre ich? Was ist wohl geschehen, dass mich die Mutter im Stich ließ? Man spürt in jedem Satz die Versehrtheit einer Seele. Die Sprache ist stark, von Gefühlen bestimmt, anklagend.
Und so wichtig dieses Buch für ihn selbst und Menschen ist, die dasselbe Schicksal erlitten haben, so fehlt mir die Freude am Leben, die trotz der Brüche, der Verletzungen und Verbiegungen doch auch er gehabt haben muss, wie jeder Mensch. Die Momente von Glück, seien sie auch noch so klein und kurz.
Für mich zog sich das Buch aus diesem Grund im Mittelteil doch arg. Zuviel kreist Wawerzinek um sich selbst, zu spät versucht er, seine Mutter zu finden. Zuviel des Selbstmitleides.
Ich hätte mir eine differenziertere Aufarbeitung gewünscht. Aber vielleicht ist das für einen autobiographischen Roman zuviel verlangt.
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