Sonntag, 26. Juli 2009

Sven Regener: Der kleine Bruder



281 S., 16,95 €, Büchergilde Gutenberg, 978-3-7632-5989-2

Ich bin ein großer Fan von Sven Regeners "Herr Lehmann". Der zweite Band "Neue Vahr Süd", in dem die Geschichte von Frank Lehmann in seiner Heimatstadt Bremen verfolgt wird, reizte mich bisher nicht so sehr. "Herr Lehmann" machte ja gerade der Berlin-Bezug zu einem Kult-Buch. So habe ich mir lieber den dritten Band, der zeitlich immer noch vor dem ersten Band liegt, vorgenommen.

In diesem Buch kommt Frank Lehmann, nach einem vorgetäuschten Selbstmordversuch, der ihm die Entlassung aus der Armee beschehrt, nach Berlin, um seinen Bruder Manfred zu besuchen und zu gucken, was Berlin für ihn so zu bieten hat.

Nach einer nervenden Fahrt mit seinem Bremer Kumpel Wolli findet er in der Wohnung, in der Mannie (der hier nur Freddie genannt wird) wohnt, eine Reihe kaputter Typen vor. Keiner scheint zu wissen, wo sein großer Bruder sich befindet. Etwas aus seinem Konzept gebracht, freundet sich Frank (hier Frankie genannt) mit Freddies Kumpel Karl an, den er bereits von einem Besuch in Bremen kennt.

Dieser schleppt ihn auch gleich mit in eine Kneipe, in der Frank noch mehr seltsame Kreuzberger Gestalten trifft und gleich am ersten Tag einen Bier-Verkaufs-Job unfreiwillig in die Hand gedrückt bekommt. Seltsamerweise findet er das alles gar nicht befremdlich, im Gegenteil: er verspürt nach getaner Arbeit eine große Befriedigung und kann sich fortan vorstellen, in der Kneipe von Erwin zu arbeiten.

Erwin wiederum (bereits bekannt aus "Herr Lehmann") will die WG-Mitglieder aus seiner Wohnung rausschmeißen, da seine Flamme Helga ein Kind erwartet. Frank beschließt, diesen Umzug im Sinne von Freddie mitzumachen, der immer noch nicht aufgetaucht ist.

Die Geschichte spielt sich innerhalb von drei Tagen ab, in der Frank in Berlin ankommt und endet, als er seinen Bruder gefunden hat und gleichzeitig beschlossen hat, in Berlin zu bleiben und in Erwins Kneipe zu arbeiten. Wie auch bei "Herr Lehmann" macht das Buch der Wortwitz aus. Die Handlung selbst ist Beiwerk für die Beschreibung der skurilen Kreuzberger "Aussteiger". Ob Punks, sogenannte Künstler oder Taxifahrer - alle bekommen ihr Fett weg durch die ungeheure Beobachtungsgabe eines Sven Regeners.

Ich habe wieder herzlich lachen können über die absurden Erlebnisse des Frank Lehmann. Besonders angetan hat mir der Transport des Martin Bosbach durch die Kreuzberger Nacht.

Vielleicht folgt irgendwann doch noch "Neue Vahr Süd"!

Samstag, 18. Juli 2009

Antonio Tabucci: Erklärt Pereira


212 S., 8,- €, dtv, ISBN 3-423-12424-5

Über einen Book-Ray von bookcrossing bin ich in Genuß dieses Klassikers gekommen. 1995 wurde das Buch mit Marcello Mastrioanni verfilmt und ist eines von Harenbergs Buch der 1000 Bücher.

Pereira ist ein alternder Journalist, der im Jahre 1938 sehr zufrieden damit ist, die Kulturseite der "Lisboa" betreuen zu dürfen. Diese Zeitung ist eine recht unbedeutende kleine Zeitung, die Pereira selbst "apolitisch und unabgängig" nennt, dafür aber katholisch geprägt und an die Seele glaubend.

Aus diesem Grunde engagiert er einen jungen Mann namens Monteiro Rossi, der eine Abhandlung über den Tod geschrieben hat als Praktikanten. Er soll Nachrufe auf bedeutende Künstler im Voraus schreiben, die von einem auf den anderen Tag sterben könnten und dann ein Nachruf schnell nötig wird.

Der Praktikant sieht in Pereira schnell einen Vertauten, aber seine Arbeiten taugen in den Augen Pereiras nicht zur Veröffentlichung: zu subversiv, zu provokant und schon allein die Auswahl der Personen stößt bei Pereira nicht auf Zustimmung. Jedoch fühlt er sich zu dem jungen Mann hingezogen, der ihn auch mit einer Freundin und seinem Cousin bekannt macht. Diese sind offensichtlich in Schwierigkeiten, sie engagieren sich für politisch Verfolgte und im Laufe der Geschichte stellt sich heraus, daß sie sogar Pässe fälschen.

Obwohl Pereira dies alles fremd ist und die Aktivitäten seiner neuen Bekannten sehr gefährlich ist, hilft er Ihnen, erst mit Geld, dann besorgt er Unterkünft und schließlich nimmt er Herrn Rossi auf, was für ihn und den Praktikanten weitreichende Folgen hat.

Die Wandlung des unpolitischen, recht phlegmatischen Journalisten in einen kleinen Helden in einer politisch mehr als wirren Zeit ist jederzeit das Lesen wert und sollte für jeden von uns Pflichtlektüre sein. Die Botschaft ist eindeutig: verschließt nicht die Augen vor den Verbrechen gegen die Demokratie!