Sonntag, 25. April 2010

John Irving: Garp und wie er die Welt sah



634 S., DM 12,80, Rowohlt, ISBN 3-499-15042-5

"Garp" stand schon so lange auf meiner "Unbedingt-lesen"-Liste. Nun habe ich es endlich geschafft und bin ... ernüchtert. Ich kann die Begeisterung, die dieses Buch weitgehend auslöst nicht wirklich nachvollziehen. Keine Ahnung, woran es liegt. Ein Grund ist sicherlich, daß es zum Zeitpunkt des Erst-Erscheinens Ende der 70er sicherlich eine kleine Sensation war, so frei über Transvestiten, radikale Feministen und dergleichen mehr zu schreiben

Diesen Reiz hat das Buch in meinen Augen im Jahre 2010 verloren. Dennoch berühren auch mich die Charaktere: angefangen bei der Mutter Jenny Fields, die sich den Vater ihres Kindes auf recht selbstbestimmte Weise aussucht. Weder Liebe noch Lust spielen dabei eine Rolle, sondern nur der Wunsch, ein Kind zu haben - und keinen Vater dazu.

Garp wächst also als Sohn einer der ersten Feministinnen auf, die sich gar nicht als solche fühlt. Schon früh entwickelt er eine eigene Sicht auf die Dinge. Vielen davon kann der Leser bedenkenlos folgen, einige erscheinen uns etwas verschroben, andere wiederum maßlos übertrieben.

Viel interessanter aber als die Sicht Garps auf die Welt sind die zahlreichen verrückten Gestalten des Buches: die Transvestitin Roberta, die vor ihrer Operation ein Footballstar war und von der Männerwelt gehaßt, aber von den Feministinnen hoch gehalten wird. Oder die sogenannten Ellen-Jamesianerinnen, die sich aus Protest über die Vergewaltigung und Verstümmelung eines 11jährigen Mädchens selbst die Zunge abschneiden lassen und sich nur noch schriftlich verständigen können.

Gewalt und Sex spielt überhaupt eine große Rolle in diesem Buch. Die Eheleute Garp und Helen gehen zeit- und wechselseitig fremd, leiden darunter und schließlich ändert es ihr Leben auf dramatische Weise. Auch in Garps schriftstellerischer Laufbahn sollen diese Themen die umstrittensten sein. In seinem dritten Roman "Bensenhaver und wie er die Welt sah" verarbeitet er genau dieses Familiendrama.

Ich konnte den dauernden Einflechtungen der literarischen Ergüsse Garps nichts abgewinnen. Für mich zerissen sie das Buch, auch wenn die Kenntnis über den Inhalt entscheidend für das Verstehen der gesamten Geschichte ist. Auch mit der Sprache des Romans kam ich nicht zurecht. Streckenweise fand die ich die Formulierungen so banal, als hätte sie ein Kind verfasst.

Mein Eindruck ist also ein ambivalenter. Interessante Protagonisten und Verstrickungen, befremdliche Sprache und für meinen Geschmack viel zu große Abschweifungen. Zu seiner Zeit mag der Roman zu Recht gefeiert worden sein, in unsere heutige Zeit will er mir nicht mehr passen.

Mittwoch, 21. April 2010

Simon Beckett: Kalte Asche (Hörbuch)



6 CDs, Gesamtlaufzeit 449 Minuten, Argon-Verlag, Gelesen von Johannes Steck, ISBN 978-3-86610-725-0

In meinem Urlaub hatte ich wieder mal Zeit und Nerven, mich einem Hörbuch zu widmen. Krimis sind hinlänglich spannend, so daß ich mich ganz gut drauf konzentrieren kann und gleichzeitig noch andere Dinge tue, z.B. schneidern, kochen oder putzen.

Das Hörbuch "Kalte Asche" von Simon Beckett habe ich selbst meinem Freund geschenkt. Es geht um den Rechtsmediziner David Hunter, der einen Leichenfund analysieren soll. Anfangs wird gar nicht von einem Verbrechen ausgegangen. Die Leiche ist stark verbrannt, nur noch Hände und Füße sind übrig geblieben.

Dazu muss Hunter auf die schottische Insel Runa fahren und lernt deren Einwohner näher kennen. Ein Unwetter zwingt ihn ausserdem, länger dazubleiben. Währenddessen geschehen weitere merkwürdige Dinge und auch ein weiterer Mord, an dem jungen Detektiv, der mithelfen sollte, die Lage um die Tote (es stellt sich schnell raus, daß es sich um eine Frau handelt) zu klären.

Der Krimi ist wirklich spannend und jeder der Beteiligten ist irgendwann einmal verdächtig und dennoch ist die Auflösung überraschend. Eigentlich so, wie es bei einem guten Krimi sein soll.

Das wird sicher nicht der letzte Krimi von Beckett gewesen sein, dem ich mich widme, gern auch als Buch. Die Stimme von Johannes Steck ist sehr eindringlich. Er versteht es, in den richtigen Momenten stimmlich Spannung zu erzeugen. Eine gute Mischung also aus Story und Präsentation.

Sonntag, 11. April 2010

Wally Lamb: Die Stunde, in der ich zu glauben zu begann





749 S., 22,95 €, Pendo, ISBN 978-3-86612-206-2

Wally Lamb ist für mich einer der besten, lebenden amerikanischen Schriftsteller. Auch in dem dritten Buch, welches ich von ihm gelesen habe, überzeugt er mich in seiner Begabung, seine Protagonisten nicht nur oberflächlich zu streifen, sondern mit ihnen zu verwachsen. Sie agieren glaubhaft und ziehen den Leser in den Bann. Jeder Einzelne hat unsere Sympathien, aber auch seine Abgründe. Und alles wird miteinander verwoben: die Handlungen und Familiengeheimnisse der agierenden Personen, ebenso wie reale Ereignisse der amerikanischen Gesellschaft.

Tragender Hintergrund ist die Familiengeschichte des Ich-Erzählers Caelum. Sie begleitet den Leser durch den ganzen Roman und deckt vor allem im letzten Drittel eine ganze Menge Geheimnisse auf.

Am Anfang steht das Ehepaar Caelum und Maureen (genannt Mo) Quirk. Sie führen eine mittelmäßige Ehe, die jedoch bald durch ein tragisches Ereignis völlig aus der Bahn geworfen wird. Während Caelum bei seiner todkranken Tante weilt, wird in Littleton/Colorado an der Columbine Highschool durch zwei Schüler ein Massaker verübt. Maureen ist mittendrin - da sie als Krankenschwester an der Schule beschäftigt ist - überlebt aber, schwer traumatisiert, in einem Wandschrank.

Danach ist nichts mehr wie es war. Mo leidet am Posttraumatischen Stresssyndrom und fängt sich nicht mehr. Sie hört auf zu arbeiten, die Quirks ziehen aus Colorado weg. Danach folgt eine schwere Zeit, in der Maureen medikamentenabhängig wird.

Nach ein paar Jahren wagt sie es dennoch, wieder arbeiten zu gehen. Jedoch kommt sie mit dem Druck der Arbeit nicht klar und verfällt wieder den Opiaten. Unglückliche Umstände führen eines Abends dazu, daß sie unter Drogeneinfluss einen Jugendlichen tot fährt und in Folge dessen kommt sie für fünf Jahre ins Gefängnis.

Währenddessen kämpft Caelum um ihre gemeinsame Existenz, die Farm. Die Behandlung seiner Frau und die Anwaltskosten haben ihr Vermögen über die Jahre aufgebraucht. Und sein Kampf führt ihn nach und nach zu neuen Erkenntnissen, über sich und seine Familie.

Neben dem Ehepaar gibt es noch zahlreiche andere Personen, die eine Rolle spielen. Da ist Velvet, ein junges Mädchen, daß "Mom" zu Maureen sagt und das Ehepaar Micks, daß Caelum aufnimmt, nachdem diese vor dem Sturm Katrina geflohen sind.

Überhaupt versucht das Buch viele Ereignisse der letzten 15 Jahre zu verarbeiten. Lamb positioniert sich entschieden gegen die Bush-Regierung und den Irak-Krieg. Manch einem scheint dies zuviel für einen Roman zu sein, aber Lamb gelingt es wunderbar, all diese Ebenen miteinander zu verweben: Gesellschaftskritik in einer mitreißenden Familiengeschichte.

Einfach nur großes Kopfkino! Unbedingt lesen!