Donnerstag, 20. September 2012

David Benioff: Stadt der Diebe

Spieldauer: 7h 18m, gekürzt, gelesen von Heikko Deutschmann, Random House Audio







Hörprobe 

Hörbuch-Download David Benioff - Stadt der Diebe

Jetzt hab ich das Hörbuch bereits zweimal angehört und bin wieder verzückt. Zum einen von der großartigen Darbietung des Heikko Deutschmann, der die beiden Freunde Lew und Kolja lebendig werden läßt. Und zum anderen von dem Humor, den diese doch zuweilen düstere Geschichte trägt.

Es sind harte Zeiten - die letzten Kriegsjahre in Leningrad. Es gibt kaum etwas zum Essen, der Patriotismus der ersten Kriegsjahre ist verflogen. Die Menschen versuchen sich am Leben zu halten - mit allen Mitteln.

So auch Lew und Kolja, deren seltsame Freundschaft beginnt, als beide wegen Kriegsverbrechen beschuldigt werden - der eine wegen Plünderung eines Toten, der andere wegen Fahnenflucht. Es droht ihnen die Todesstrafe, aber eine Möglichkeit bleibt ihnen. Sie sollen für den Oberst in nur ein paar Tagen ein Dutzend Eier besorgen, die in diesen Kriegszeiten so gut wie nicht mehr zu bekommen sind. Die Tochter des Oberst heiratet und für die Hochzeitstorte werden dringend Eier benötigt.

So ziehen die beiden - etwas ziellos - los. Und daraus entwickelt sich ein Roadmoavie ganz anderer Art. Sie begegnen den merkwürdigsten Gestalten: Menschenfressern, Kriegsverbrechern und -opfern. Der Kampf ums Überleben prägt sie alle. Und keiner hat etwas abzugeben, schon gar keine Eier.

Mal drastisch, mal einfühlsam erzählt Benioff diese Geschichte. Wenn Kolja von seinen sexuellen Erfahrungen, seinen Verdauungsproblemen oder über ein Buch, das niemand kennt, erzählt, muss man oft schmunzeln. Er versucht das Leben zu nehmen, wie es kommt und selbst in harten Zeiten den Humor nicht zu verlieren.

Aber wenn es bitter wird, wenn die russischen Prostituierten deutscher Soldaten von Foltermethoden erzählen, wird auch Kolja still. Und treibt ihn an, zu kämpfen, auf seine Art. Lew wirkt hingegen ruhiger, wenn auch weniger erfahren. Er folgt Kolja, aber nicht blind. Und nur durch ihren Zusammenhalt, ihre Freundschaft gelingt den beiden das fast Unmögliche.

Heikko Deutschmann läßt die beiden Helden lebendig werden als würden sie neben einem stehen. Er schafft es, Koljas forsches Wesen zu lieben, Lews Zweifel zwischen dem Gesagten zu spüren und mit zu leiden in den düsteren Momenten, die die beiden erleben.

Großartig!

 

Samstag, 15. September 2012

Petra Hammesfahr: Der stille Herr Genardy

333 S., Rowohlt, 8,50 €, ISBN 3-499-23030-5

Petra Hammesfahr ist eine der führenden deutschen Krimiautoren und zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich bisher noch kein Buch von ihr gelesen habe. Vor kurzem fiel mir aber dieser doch wohl sehr bekannte Roman von ihr in die Hände. Er wurde sogar erfolgreich verfilmt mit Iris Berben in der Rolle der Sigrid Pelzer.

Sigrid Pelzer ist eine unsichere Person, von ihrer Mutter immer lieblos behandelt, die kleine Schwester immer vorgezogen, heiratet sie den ersten Mann der ihr begegnet. Franz ist ein ganz Lieber. Er kümmert sich umsichtig um Sigrid und eigentlich kann sie sich gar nicht über ihn beklagen. Warum nur wird ihr ganz beklommen, wenn am Samstagabend der Liebesakt ansteht? Er ist doch ganz vorsichtig, dennoch verkrampft sich in ihr alles. Es fühlt sich falsch an.

Überhaupt hat Sigrid immer wieder "Gefühle". Sie träumt vor allem in unregelmäßigen Abständen vom Braunen, der ihr den Tod ankündigt. Drei Tage nach dem Traum stirbt ein Mensch in ihrer Nähe, jemanden, den sie gut kennt. Der Braune scheint sie warnen zu wollen, aber sie versteht ihn nicht. Wer ist diesmal gemeint? Und wie wird er umkommen? Auch Franz konnte sie nicht warnen. Sein Auto fuhr ungebremst auf einen Baum. Absicht oder Unfall?

Seitdem muss Sigrid allein klar kommen - sie und ihre achtjährige Tochter Nicole. Sie hat Mühe, das große Haus allein zu halten. Deshalb sucht sie eine Untermieterin, die sie auch mit großem Glück findet. Eine Idealbesetzung, die sich auch noch um ihre Tochter kümmert, während sie arbeitet. Die sogar im Haushalt hilft, die fast eine Art Ersatzmutter für Sigrid ist. Als diese wiederum auszieht, muss Sigrid schnell einen Nachmieter finden. Und obwohl sie unbedingt wieder eine ältere Frau dafür haben will, läßt sie sich von ihrer Mutter überrumpeln und vergibt die Wohnung an den doch so netten und stillen Herrn Genardy.

Aber von Anfang an ist ihr nicht wohl dabei. Ihre Wohnung ist nicht abschließbar, er kann jederzeit hereinplatzen. Und man hört ihn auch kaum, als ob er nur rumsitzt und lauscht. Und er ist so übertrieben liebenswürdig zu Nicole und ihrer Freundin Denise, die bald nicht mehr zu den Pelzers nach Hause kommen will. Ist es vielleicht wegen Herr Genardy?

Noch bevor Herr Genardy einzieht, verschwindet die kleine Tochter Nadine von Sigrids Kollegin Hedwig und drei Tage später wird sie tot aufgefunden - missbraucht. War Nadine gemeint, als der Braune das Letzte mal im Traum auftaucht? Aber Sigrid kennt sie doch kaum, auch stimmt der Todeszeitpunkt nicht. Oder ist vielleicht Herr Genardy selbst der Tod, den sich Sigrid ins Haus geholt hat?

"Der stille Herr Genardy" ist ein hochspannendes Buch, welches dennoch sensibel mit dem Thema Kindesmissbrauch umgeht. Im ersten Teil wechseln sich die Erzählperspektiven von Sigrid und Herr Genardy ab. Von Anfang an wird kein Zweifel an der Veranlagung des Genardy gelassen. Danach sieht man nur noch Sigrids Sicht - wie sie mit sich kämpft, mit ihren Visionen, mit ihrer Verantwortung zu ihrer Tochter, mit ihrer Hilfslosigkeit. Sie hat keine Beweise, aber ihr Gefühl überfällt sie, hält sie gefangen. Beklemmend ist das. Man möchte sie immer wieder schütteln, warum sie nichts sagt, warum sie ihre Ängste niemandem anvertraut.

Sie macht langsame Schritte, wägt ab. Erzählt irgendwann ihrem neuen Freund Günther von Franz und seiner Veranlagung. Sie weiß, wie so jemand tickt. Aber Franz hat kein Kind angefasst, dessen ist sich Sigrid sicher. Wie ist also einer, der nicht an sich halten kann, der eine echte Gefahr ist für ihr Kind? Was ist, wenn sie einen unschuldigen Menschen verdächtigt? Er ist doch immer so nett und zuvorkommend, der Herr Genardy.

Viel zu lange zögert sie. Aber irgendwann will sie es wissen, will es allein lösen, will erwachsen werden und es sich selbst beweisen: daß sie keinen Franz mehr braucht.

Unbedingt lesen!

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Dienstag, 11. September 2012

Herman Koch: Sommerhaus mit Swimmingpool

345 S., Büchergilde Gutenberg, ISBN 978-3-7632-6506-0

Ich brauchte eine Weile bis ich warm wurde mit dem Roman um den Hausarzt Marc Schlosser, der wegen eines möglichen Kunstfehlers sich vor der Ärztekammer verantworten muss.

Marc Schlosser erzählt in der Ich-Form und anfangs fragte ich mich, worauf die Geschichte hinausläuft. Unsympathisch ist er mir gewesen, oberflächlich, satt und so gar nicht humanistisch, wie man sich einen Arzt wünscht und vorstellt. Er betreibt eine Privatpraxis, in der er nur noch bedeutende Personen, vor allem Künstler behandelt. So arrogant und flach seine Patienten, so abgebrüht der Arzt.

Einerseits macht er sich lustig über die Zipperlein seine Ikonen, andererseits scheint er selbst nicht besser zu sein. Er meidet den privaten Kontakt zu diesen Menschen bis er dem Temperament des Schauspielers Ralph Meiers erliegt und einer Einladung zu einem Fest folgt, der der Anfang einer Verkettung unheilvoller  Ereignisse ist.

Dass Ralph Meier das Opfer des Kunstfehlers ist, steht bereits zu Beginn fest. Aber erst als beschrieben wird, wie dieser seine Blicke über die weiblichen Begleiter gleiten läßt, ahnt man, dass das Ableben des Künstlers vielleicht noch andere Ursachen hat.

Die Geschichte nimmt Fahrt auf und am Ende konnte ich das Buch gar nicht weglegen: Die Familie Schlosser trifft im Sommer nicht ganz zufällig auf die Familie Meier. Die beiden halbwüchsigen Mädchen des Arztes freunden sich mit den Meier-Jungs an, die im passenden Alter sind. Während Caroline Schlosser sehr abgeneigt ist von der neuen Bekanntschaft ihres Mannes, ist dieser umso mehr interessiert an der Gattin des Schauspielers.

Vor Ort ist auch noch ein amerikanisches Pärchen, er Filmregisseur, sie blutjunges Modell - zu jung für diesen Mann. Man speist miteinander, man hat Spaß, Anzüglichkeiten werden ausgetauscht, mal heimlich, mal halb offen. Bis diese Stimmung eines Abends eskaliert...

Mit Fortschritt des Romans entwickelt sich Marc Schlosser vom Unsympath zu einem sorgenden Familienvater. Man versteht ihn immer mehr und fragt sich, ob man in der Situtation, in die er hineingerät, die das Leben seiner ganzen Familie für immer ändern wird, genauso handeln würde.

Ein lesenswertes Buch um die Fragen nach Moral, Menschlichkeit und deren Grenzen.

Freitag, 7. September 2012

Hermann Hesser: Der Steppenwolf

184 S., Aufbau Verl., 1986

Hesses Klassiker wird nach wie vor vorwiegend von jungen Menschen gelesen. Ich selbst habe Jahre gebraucht, das in meinem Bücherregal stehende Werk zur Hand zu nehmen. Und das war gut so! Man muss sich Zeit nehmen für den "Steppenwolf".

Ich kann verstehen, dass gerade Jugendliche, die rebellisch sind und sich abgrenzen wollen von den bürgerlichen Elternhäusern, in dem Roman sich selbst sehen. Aber Harry Haller ist selbst gar nicht mehr jung, er ist gezeichnet vom Leben, von Erfahrungen, von Enttäuschungen. SeineTraurigkeit, seine "Krisis" - wie Hesse selbst schreibt - ist erst entstanden durch die jahrelange Frustration über die kranke, satte Welt. Und dies kann ein junger Mensch ohne Lebenserfahrung noch nicht so wahrnehmen, wie ein Leser in mittleren Jahren.

Das Werk hat seine Berechtigung für jeden und Hesse schreibt: "Ich kann und mag natürlich den Lesern nicht vorschreiben, wie sie meine Erzählung zu verstehen haben. Möge jeder aus ihr machen, was ihm entspricht und dienlich ist! Aber es wäre mir doch lieb, wenn viele von ihnen merken würden, daß die Geschichte des Steppenwolfes zwar eine Krankheit und eine Krisis darstellt, aber nicht eine, die zum Tode führt, nicht einen Untergang, sondern das Gegenteil: eine Heilung." Und so endet der "Steppenwolf" auch nicht mit dem Tod, sondern mit der Erwartung, "das Lachen zu lernen".

Die Handlung ist schwer zu beschreiben: Harry Haller lebt allein in einer Pension und hadert mit dem Leben. Gesellschaft ist im zuwider, nur hin und wieder geht er einen Wein trinken in einem Café und nimmt eine Einladung eines Professors an. Doch immer kehrt er niedergeschlagen zurück, merkt er doch wie anders er ist, wie oberflächlich seine Mitmenschen, wie bieder und zufrieden, während ihn nach Tiefe dürstet.

Doch eines Tages begegnet er der Lebedame Hermine, die ihn zum Freund erwählt und auf seltsame Weise sich ihm im Inneren verbunden fühlt. Sie denkt wie er und sie fühlt wie er, auch wenn sie nicht diegleiche Bildung hat. Ihm fehlt die Fähigkeit, die Freuden des Lebens zu finden und zu genießen - ihr fehlt das Wissen, die Intellektualität. Und so versucht sie ihn, an sich zu binden, macht einen Deal mit ihm. Er soll das Tanzen lernen, die Frauen lieben lernen und sie will eines Tages durch seine Hand sterben.

Für mich ist Hermine die eigentliche Heldin der Erzählung. Alles was Harry diffus fühlt und denkt, kann sie in Worte fassen und läßt den Leser mit offenem Munde zurück. Sie hat verstanden durch Beobachten nicht durch Zurückziehen. Sie zieht nur leider die falschen (weil zu harten) Konsequenzen.

"Der Steppenwolf" ist zeitlos und wird wohl noch in hundert Jahren ebenso lesenswert sein, vor allem für all diejenigen, die sich nicht zufrieden geben mit Konsum, mit dem "kleinen" Leben, sondern die Moral in seinem eigentlichen Sinne, Intellekt und Würde suchen - die ewig Unruhigen.