Dienstag, 29. Mai 2012

Eugen Ruge: In Zeiten des abnehmenden Lichts

432 S., Rowohlt, 19,95 €, ISBN 978-3498057862

Mit Buchpreisträgern in den letzten Jahren bin ich nicht immer warm geworden: so fand ich "Du stirbst nicht" von Kathrin Schmidt annehmbar und "Der Turm" von Uwe Tellkamp sogar sehr lesenswert,  tat mich aber schwer mit "Die Mittagsfrau" von Julia Franck und "Die Habenichtse" von Kathrin Hacker lies mich recht ratlos zurück.

Nach all den lobenden Rezensionen und Kritiken habe ich nun den neuesten Buchpreisträger gelesen. Schon allein das Thema reizte mich, handelt es sich doch um eine Familiengeschichte über mehrere Generationen und ihr individuelles Verhältnis zum Thema Sozialismus und DDR-Diktatur. Dies gelang bereits Tellkamp recht gut, wenn auch ein wenig zu spröde und intellektuell.

Ruges Werk liest sich bei Weitem geschmeidiger. Man folgt den Figuren auf einem recht eigenen Weg. Dies liegt wohl vor allem daran, dass Ruge in den Zeiten laufend springt und seine Figuren an ein paar Ereignissen teilhaben läßt, diese wiederum aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. So wird zum Beispiel der 90. Geburtstag des (Stief-Ur-)Großvaters aus Sicht desselbigen, aus Sicht des Sohnes Kurt und des Urenkels beschrieben. So geschieht dies auch mit anderen Fixpunkten. Zu Wort kommen auch noch Charlotte - die (Ur-)Großmutter, Irina - Kurts Frau und Alexander, genannt Sascha - das Alter-Ego von Eugen Ruge selbst.

An dieser Figur hangelt sich dementsprecht auch der Roman. Denn Alexander hat Krebs und keine Aussicht auf Heilung. So erlebt man die Geschichte irgendwie als Rückblick, auch wenn die anderen Familienmitglieder zu Wort und Gedanken kommen.

Wilhelm ist der alte Verfechter des Regimes, mit (vermutlicher) Stasi-Vergangenheit und Betonkopf-Ansichten. Kurt - die mittlere Generation - spiegelt die Widersprüchlichkeit der meisten heute älteren, in der DDR groß gewordenen, Generation wieder. Im Internierungslager in Russland lange verbracht, hat er ein gespaltenes Verhältnis zum Unrechtsstaat, schafft es aber nicht, gegen diesen zu rebellieren. Als sein Sohn Alexander kurz vor Maueröffnung in den Westen geht und nach der Wende diese verteidigt, kommen bei Kurt all die indoktrinierten anti-kapitalistischen Ideologien wieder hervor und bringen ihn gegen den Sohn auf.

Der (Ur-)Enkel am Ende hat gar keinen Bezug mehr zur Ost-West-Dramatik und kämpft vielmehr mit den Problemen eines Trennungskindes, wie sie zu allen Zeiten und in allen Welten vorkommen.

Für mich ein rundum gelungenes Buch zum Stimmungsbild der untergegangenen DDR. Vieles erinnerte mich auch an meine eigene Geschichte. Ich werde dieses Buch gern weiterempfehlen: 2011 in meinen Augen ein würdiger Buchpreisträger.

Dienstag, 22. Mai 2012

Carson McCullers: Das Herz ist ein einsamer Jäger

352 S., Süddeutsche Zeitung - Bibliothek, ISBN 3-937793-33-X

Nach nun doch einigen Enttäuschungen beim Lesen habe ich endlich wieder ein gutes Buch in der Hand gehabt.

Der Klassiker von Carson McCullers wird zu Recht als Meisterwerk bezeichnet. Das Sammelsurium von Menschen, die sich um den taubstummen Mr. Singer scharen, sind alle so liebenswert und differenziert gezeichnet, dass man in ihren Geschichten versinkt.

Diese Außenseiter sind alle auf der Suche nach Glück und dem richtigen Weg in ihrem Leben.

Mick zum Beispiel ist auf dem Weg zum Erwachsenwerden, hat viele Träume und noch mehr Verantwortungsbewußtsein und stößt deshalb dann doch an ihre Grenzen.

Mr. Copeland dagegen ist schwer krank und will bis zum Schluss seine schwarzen Mitbürger den rechten Weg aus ihrer rassistisch bedingten Unfreiheit zeigen. Er begegnet Jake Blount, einem aus dem Nichts aufgetauchten Marxisten, der ebenfalls mit politischer Mission unterwegs ist. Soviel sie im Denken doch gemeinsam haben, so trennt sie die Hautfarbe und letztendlich gehen sie im Streit auseinander.

Und noch mehr Schicksale tummeln sich in diesem wunderbaren Buch. Und jeder sieht in Mr. Singer den einzig wahren Freund, dem sie sich anvertrauen, von dem sie sich verstanden fühlen, da er selbst immer schweigt, immer zuhört und nur hin und wieder zustimmend mit dem Kopf nickt.

So weiß auch keiner von dessen Nöten. Einst lebte er mit seinem Freund Antonapoulus zusammen, der jedoch dem Wahnsinn verfällt und fortan in einem geschlossenen Heim lebt. Einsam flüchtet Mr. Singer aus der gemeinsamen Wohnung und sucht sich ein Zimmer in einer Pension. Ab und zu fährt er seinen engen Freund besuchen, doch irgendwann trifft er ihn nicht mehr lebend an und zerbricht daran.

Unausgesprochen ist diese Liebe, ein Tabuthema in der Zeit der Entstehung des Romans. Und doch ist diese Art der Männerliebe offensichtlich für den heutigen Leser.

Ein großartiges Buch, welches mich öfter an James Baldwins "Eine andere Welt" erinnerte, welches zu meinen absoluten Lieblingsbüchern zählt. Also: lesen, eintauchen und mitleben!

Mittwoch, 9. Mai 2012

Michel Houellebecq: Karte und Gebiet

416 S., Büchergilde Gutenberg, 18,90 €, ISBN 978-3-7632-6437-7

Seit Jahren schon steht "Elementarteilchen" auf meiner "Unbedingt-Lesen"-Liste. Nun ist aber doch der neue Houellebecq mein erster geworden. Hochgelobt als das Buch der Saison (letztes Jahr) und dergleichen, war ich doch sehr gespannt auf dieses Buch.

Und ich muss sagen, es läßt mich ratlos und zwiespältig zurück. Ja: ich kann nachvollziehen, daß man in diesem Roman die Dekadenz unserer heutigen Konsumgesellschaft wunderbar erkennen kann. Auch die Gefühlskälte und überhaupt die Sinnentleertheit der Menschen der westlichen Welt. Aber Houellebecq ist mir in seinem Anliegen zu vordergründig und oft auch zu banal.

Aber erst einmal zur Story: Jed Martin ist bildender Künstler, der sich über die Fotokunst, über Porträts bedeutender Persönlichkeiten sowie die Darstellung typischer Menschen in unterschiedlichen Berufen, einen Namen in der Kunstszene macht.

Im Allgemeinen scheint Jed sein Erfolg ziemlich kalt zu lassen. Geld ist auf der einen Seite nicht so wichtig für ihn, auf der anderen kann er damit einfach seinem trägen Leben weiter nachgehen. Beachtlichen Ruhm und somit zu einem Millionenverdienst kommt er über eine Serie von Gegenüberstellungen von Satellitenaufnahmen und den entsprechenden Verkehrskarten, wobei letztere im Vergleich immer die bedeutend ästhetischere Form ist. Allein dieser Umstand ist Houellebecqs Kernaussage: die Welt ist nicht so toll, wie sie oben betrachtet verkauft wird. Oder auch: "Der Schein trügt."

Jed Martins Leben plätschert so dahin, bis er für eine Ausstellung ein Vorwort für den Ausstellungskatalog benötigt. Den wiederum soll der berühmte Schriftsteller Houellebcq schreiben. Und ihn zu überreden, fährt Martin zum Autor nach Irland. Die beiden sind sich auf Anhieb sympathisch und Martin verspricht dem Schriftsteller, ein Porträt von ihm zu malen und als Bezahlung zu schenken (immerhin ist das Bild bald mehrere Millionen wert).

Beide Künstler vereint die Müdigkeit ob des Konsumterrors. Während Houellebecq um ein paar Gegenstände trauert, die er immer wieder kaufen würde, die aber nicht mehr produziert werden, so mag Jed Martin lange Zeit nicht aus seinem heruntergekommenen Atelier ziehen, sondern legt sich lediglich einen Audi mit Tempomat zu. Überhaupt werden ziemlich viele Produkte in diesem Roman unter die Lupe genommen und beim Namen genannt. Nachfolgende Generationen werden bald nicht mehr nachvollziehen können, was der Autor uns hiermit sagen wollte.

Während Jed im ganzen Roman nicht wirklich glücklich ist (auch die Liebe zu Olga scheint in Wahrheit oberflächlich und kühl), findet Houellebecq in seinem Elternhaus auf dem Land sein Glück und seinen Frieden.

Dieser jedoch wird aus habgierigen Gründen bald zerstört, denn der Schriftsteller wird ermordet aufgefunden und das Porträtbild ist verschwunden. Nun hält auch noch ein Kriminalfall Einzug in das Buch. Für mich völlig unzusammenhängend, philosophieren manche Feuilleton-Kritiker über das "Vexierbild" der eigenen Sterblichkeit. Der Autor, der sich selbst zum eigentlichen Star seines Buches macht und sich auch noch sterben läßt, hat einen Kunstgriff getan, um die großen Themen unserer heutigen Gesellschaft zu erzählen.

Für mich ist dies alles an den Haaren herbeigezogen. Die Kriminalhandlung als solche ist schwach, die Kommissare dröge wie die anderen Protagonisten (was wohl auch so beabsichtigt ist!). Zu sehr schwingt mir in dem ganzen Roman die moralische Keule gegen den Konsumterror und die Hetzjagd nach dem Geld daher. Zuviele Puzzlestücke werden hervorgekramt, die nicht zusammenpassen wollen, auch wenn die Absicht dahinter gut war.

Immerhin ist "Karte und Gebiet" unterhaltsam zu lesen. Man erwartet auch spätestens ab der Krimihandlung noch packende Zusammenhänge, die das Lesen vorantreiben. Leider bleiben diese aber aus und verlaufen ins Leere.

"Elementarteilchen" möchte ich dennoch irgendwann lesen. Der vorliegende Roman läßt mich noch hoffen.

 

Mittwoch, 2. Mai 2012

Henning Mankell: Der Feind im Schatten

589 S., Büchergilde Gutenberg, 21,95 €, ISBN 978-3-7632-6336-3

"Der Feind im Schatten" ist der letzte Band der Wallander-Reihe. Schade, wie wohl die meisten Leser finden werden. Aber irgendwann muss halt Schluss sein mit den alten Helden, damit Platz wird für die neuen.

Einen Abschlussband stellt man sich fulminant vor. Vielleicht auch mit großem Show-Down oder dem Anklang einer Nachfolge. Doch all dies ist in diesem Band nicht der Fall. Eher langsam und träge kommt Wallander daher. Sinnierend über das Alter, sein Leben, seine Lieben und was noch kommen mag und was nicht.

Der Leser trifft auf Figuren aus alten Romanen. Entweder tauchen diese plötzlich auf oder sie kommen über die Erinnerungen an alte Fälle. Mankell will Schluss machen mit seinem Wallander und das überdeutlich. Leider trübt das auch den Genuss des Lesens. Denn die eigentliche Geschichte ist sehr zähflüssig und wird immer wieder unterbrochen durch Wallanders altertümliche Anwandlungen.

Die Quasi-Schwiegereltern seiner Tochter Linda, die inzwischen Mutter geworden ist, verschwinden nacheinander. Der Vater war bei der schwedischen Marine und scheint ein Geheimnis mit sich herum zu tragen. Die Mutter hingegen ist still und immer lächelnd.

Nur langsam nähert sich Wallander den Hintergründen und wird dabei in die Irre geführt. Hat die Mutter Spionage für die Russen betrieben? Und wenn ja, seit wann und warum? Oder hat das Verschwinden ganz andere Hintergründe? Sind beide tot oder wollten sie nur abtauchen?

Natürlich beherrscht es Mankell, den Leser im Fluss zu halten. Zwischendrin werden zahlreiche kleine Spuren gelegt, die jedoch nicht immer einen passenden Abschluss finden, zu einem Ganzen gefügt werden. Am Ende will man gar meinen, Mankell hat sich selbst verlaufen und findet den Ausgang nicht. Zu sehr steht in diesem Roman die Figur des Kommissars im Vordergrund. Die Verschwundenen sind nur Randfiguren in diesem großen Abschiedsbrief.

Deshalb ist dieser letzte Wallander leider nicht rundum gelungen. Zuviel Wehmut, zuwenig Kriminalfall - und dieser auch noch ziemlich unlogisch am Ende. Auf einmal war einfach Schluss und so richtig befriedigt kann man als Leser leider nicht sein.

Dennoch werde ich ihn vermissen - den großen Wallander!