Sonntag, 29. Juli 2012

Zeruya Shalev: Für den Rest des Lebens

520 S., Berlin Verlag, 22,90 €, ISBN 978-3-8270-0989-0

Auf der Leipziger Messe war mein Highlight das Interview mit Zeruya Shalev zu ihrem neuen Buch "Für den Rest des Lebens", welches ich mir natürlich vor Ort auch gleich zulegen musste.

Shalevs vorhergehende Werke "Mann und Frau", in der es um eine Trennung eines Paares nach vielen Jahren geht; "Liebesleben", worin die Autorin die obsessive Liebe einer jungen Frau zu einem wesentlich älteren Mann beschreibt und "Späte Familie", die Geschichte einer sich neu findenden Patchwork-Familie haben mich alle begeistert und so kann man mich getrost als Fan der israelischen Star-Autorin bezeichnen.

Umso gespannter war ich auf ihren neuen Roman und bin nicht enttäuscht worden. Die Geschichte vereint die Geschichte dreier Familienmitglieder: der Mutter Chemda, die dem Ende ihres Lebens entgegen sieht und dieses Revue passieren läßt und versucht, ihren Frieden mit dessen Verlauf, den sie lange Zeit in einem Kibbuz verbrachte, zu finden. Der zweite Hauptdarsteller ist Chemdas Sohn Avner, den sie mehr liebte als ihre Tochter Dina, die Dritte im Bunde.

Avner hadert mit seinem Leben. Obwohl er als erfolgreicher Anwalt für Menschenrechte arbeitet und eine Familie mit zwei Söhnen hat, ist er zutiefst unzufrieden, möchte ausbrechen aus einer lieblosen Ehe, die er viel zu früh eingegangen ist. Er möchte am Ende seines Lebens mit Liebe aus demselben scheiden, so wie er es am Nachbarbett seiner kranken Mutter im Krankenhaus bei einem Paar erleben durfte. Er verliebt sich in die zurückbleibende Geliebte des Sterbenden, sie ist für ihn aber unerreichbar.

Dina ist die ungeliebte Tochter und liebt vielleicht deshalb ihre einzige eigene Tochter umso mehr. Weil sie deren Zwilling noch vor der Geburt verlor und weil die Tochter sich im pubertären Alter immer mehr von ihr entfernt, entsteht bei ihr der unausweichliche Wunsch nach einem weiteren Kind. Und da sie bereits in dem Alter ist, wo ihr eigene Kinder nicht mehr vergönnt sind, möchte sie ein fremdes Kind adoptieren. Mit diesem Wunsch stößt sie jedoch auf steinharten Widerstand bei ihrem Mann und zuerst auch bei der Tochter.

Zeruya Shalev zeigt in allen drei Mitgliedern die tiefe Verbundenheit mit der eigenen Familie, egal, ob man versucht, die Verbindung zu kappen, egal wie enttäuscht man manchmal ist. Am Ende ist diese Verbindung stärker als alles Andere und hilft über Krisen hinweg.

Wie tief blickt die Autorin in die Seelen ihren Figuren, macht Unverständliches verständlich. Ich bewundere dieses psychologische Einfühlungsvermögen und staune, wie Shalev es in all ihren Büchern schafft, den Kern menschlichen Handels zu erspüren. Als Leser findet man sich in allen Personen wieder: im Zweifel, in der Hoffnung, im Hadern und in der Emanzipation. Ich trage all dies in irgendeiner Form selbst in mir, kenne Situationen, in denen ich ähnlich empfunden oder gedacht habe. Und daraus entsteht eine tiefe Verbundenheit mit den Figuren, die einen auch lange nach Beenden der Lektüre noch nachklingen.

Ich kann allen nur wärmstens die Werke von Zheruya Shalev ans Herz legen. Wer sie noch nicht entdeckt hat - es wird Zeit.


Sonntag, 22. Juli 2012

Alex Capus: Léon und Louise



320 S., Hanser, 19,90 €, ISBN 978-3446236-301

Hier erzählt Alex Capus die Geschichte von Léon, die angelehnt ist an  die reale Geschichte seines Großvaters. Als junger Mann verliebt sich Léon in ein Mädchen namens Louise. Louise hat das Herz auf dem rechten Fleck und spricht aus, was sie denkt. Diese Geradlinigkeit beeindruckt Léon und er versucht ihr Herz zu erobern.

Als sie endlich ein Paar werden, geschieht auch schon das Unglaubliche: durch einen Luftangriff werden sie getrennt. Beide überleben, denken aber vom jeweils anderen, dass er tot ist. Bis sie sich viele Jahre später zufällig in der U-Bahn wieder begegnen.

Léon ist inzwischen verheiratet und hat Kinder. Louise hingegen lebt allein und arbeitet bei der Banque de France als "Tippmansell". Beide wissen, dass sie nicht einfach da weitermachen können, wo sie damals aufgehört haben. Léon ist ein pflichtbewusster Mann und schätzt seine Frau Yvonne sehr.

Der Roman erstreckt sich über viele Jahre. Léon und Louise verlieren sich immer wieder aus den Augen und begegnen sich doch wieder. Der zweite Weltkrieg kommt dazwischen und Louise verläßt sogar den Kontinent. Sie schreibt ihm Briefe, er versucht, soweit es geht über die Besatzungszeit in Paris zu kommen.

Die Liebesgeschichte der beiden spielt zwar eine große Rolle in dieser Geschichte, aber auch das Leben und Überleben in Zeiten zweier Weltkriege wird sehr bewegend geschildert. Das Besondere an dem Buch ist aber die Sprache. Ich kann sie kaum beschreiben, leicht und beschwinglich vielleicht - dem Thema teilweise gar konträr. Sie trägt den Leser über Höhen und Tiefen, man versinkt und möchte gar nicht auftauchen. Man fiebert der nächsten Begegnung des heimlichen Liebespaares entgegen und staunt über die kleinen Widerstände, die ein kleiner Polizeibeamter wie Léon gegenüber der deutschen Besatzungsmacht übt, obwohl er Kopf und Kragen riskiert.

Louise hingegen sitzt in Afrika fest und erlebt ein völlig anderes Leben - bis der Krieg vorbei ist und die Beiden sich wieder finden.

Ein ungeheuer einfühlsamer Roman, der ans Herz geht. Aus meiner Sicht endlich mal ein Buch, welches zu Recht seit Wochen auf den Bestsellerlisten ist..


Montag, 16. Juli 2012

Hans Fallada: Kleiner Mann, was nun?

396 S., Aufbau Verl., 9,99 €, ISBN 978-3-746626765

Es ist schon länger her, dass ich meinen letzten Fallada in der Hand hatte. Umso mehr habe ich mich über die Neuauflage einiger Klassiker des deutschen Schriftstellers gefreut und "Kleiner Mann, was nun?" habe ich zum Welttag des Buches von einer Kollegin erhalten.

Es ist die Geschichte des kleinen Angestellten Pinneberg und seiner Frau Lämmchen, die einen "Murkel" als Nachwuchs erwarten. Bereits am Anfang der Geschichte sieht es nich rosig aus mit den Finanzen der werdenden Familie. Pinneberg arbeitet als Buchhalter in einem Saatbetrieb und bekommt dafür bereits wenig Geld, obwohl er eigentlich Verkäufer für Herrenkonfektion ist.

Lämmchen kann aufgrund ihres Zustandes nichts dazu verdienen und von den Eltern der beiden ist auch nichts zu erwarten. Sie suchen eine Wohnung, was sich gar nicht so einfach gestaltet und Lämmchen ist über die erste Wahl ihres Mannes auch nicht gerade begeistert. Deshalb schreibt sie einen Brief an dessen Mutter, die wiederum die beiden nach Berlin einlädt und behauptet, eine Stellung für den Jungen in der Konfektionsabteilung des Kaufhauses Mandel besorgt zu haben.

Daraus wird nach einiger Mühe und Kriecherei dann doch noch etwas, aber viel mehr als vorher verdient Pinneberg hier auch nicht. Und das Zimmer bei seiner Mutter ist teurer als die kleine Wohnung in Ducherow, wo die beiden vorher lebten.

Immer geht es ums Geld, Lämmchen und Pinneberg jonglieren, planen und kommen auch irgendwie zurecht. Dann kommt der Murkel zur Welt und Pinneberg erscheint ein paar Mal zu spät zur Arbeit, was ihn bald den Job kostet.

Danach geht es nur noch bergab und der Roman endet leider ohne Hoffnung: die Arbeitslosigkeit in der Weltwirtschaftskrise hat die Pinnebergs fest im Griff.

Fallada gelingt es, dem "kleinen Mann" eine Stimme zu geben. Sorgen und Nöte, die die kleine Familie beschäftigt, tragen wirklich einen ganzen Roman und man leidet mit ihr mit. Ich kann den Roman wirklich nur empfehlen. Die "Berliner Schnauze" liest sich trotz des Alter des Buches noch sehr aktuell.

Also: keine Angst vor Klassikern!


Donnerstag, 12. Juli 2012

Hanif Kureishi: In fremder Haut

190 S., Rowohlt, 8,90 €, ISBN 3-499-23492-0

Der britische Schriftsteller Hanif Kureishi war beim Erscheinen des Romans erst 49 Jahre alt, also noch nicht in dem Alter, in dem man mit großer Sorge dem altersbedingten Verfall ins Auge sieht.

Aber doch denk ein Leser immer an ein Alter Ego, wenn die Hauptfigur eines Romans Schriftsteller ist. In diesem Fall ist es Adam, der durchaus Probleme mit dem Altwerden hat. Und als ihm das Angebot gemacht wird, sein Gehirn in einen wesentlich jüngeren Körper zu verpflanzen - erstmal zu Testzwecken für ein halbes Jahr - überlegt er nicht lange und begibt sich in dieses Experiment.

Dafür nimmt er sich ein halbes Jahr Auszeit und erklärt seiner Frau, er will eine Reise machen. Er sucht sich den jungen Körper eines Schwulen aus (was er vorher jedoch nicht weiß) und schon allein diese Tatsache birgt einige Komplikationen in seinem neuen Leben. Sein alter Körper wird solange für ihn aufbewahrt, bis er sich entschließt, für immer im neuen Leben zu bleiben oder nach dem halben Jahr wieder zurückkehren möchte.

Anfangs fühlt sich Adam großartig, genießt sein neues Leben, macht Dinge, der er noch nie gemacht hat oder schon lange nicht mehr machen konnte. Da er gut aussieht, fliegen ihm die Sympathien zu und er gerät regelrecht in einen Rausch. Er reist viel, doch bald schon ist sein Geld aufgebraucht, welches eigentlich sechs Monate reichen sollte. Nun muss er Geld verdienen und läßt sich sogar herab, als Boyfriend eines älteren Gönners zu fungieren.

Die negativen Erlebnisse häufen sich und Adam überlegt bereits, seinen "Neukörper" früher wieder abzugeben. Aber er begegnet auch anderen Menschen, die ihren alten Körper gegen einen jungen getauscht haben und so langsam fragt Adam sich, woher diese jungen Körper alle kommen und was wohl passiert, wenn der kleine etablierte Kreis größer und größer wird und plötzlich viel mehr "Frischfleisch" benötigt wird.

Dann gerät er selbst in die Situation, dass sein gutaussehender, gesunder Körper Begehrlichkeiten bei potentiellen Anwärtern weckt und so sieht er sich mit einem Mal einer Verfolgung auf seinen Neukörper ausgesetzt, der nur in seinem Tod enden kann.

Kureishi beschäftigt sich in diesem Roman mit aktuellen Fragen des Alters, dem Jugend- und Schönheitswahn und wie weit die Medizin ethisch wohl gehen würde. Allerdings hat mich der Roman nicht vollständig überzeugt, trotz eines tollen Themas ist die Umsetzung nicht vollkommen gelungen. Kureishi springt zu sehr zwischen den Erlebnissen Adams ohne wirklichen Zusammenhang. Im einen Absatz ist er noch im Drogenrausch, im nächsten bereits wieder auf einer Reise. Diese Aneinanderreihung wirkt etwas willkürlich und soll wohl die Möglichkeiten einer solchen Verwandlung aufzeigen. Jedoch bleibt die Hauptperson dadurch im ganzen Buch blass und unausgegoren.

Also kann man lesen - muss man aber nicht.