Freitag, 28. Dezember 2012

Rückblicke und Ausblicke


2012 neigt sich dem Ende und es wird Zeit, das Lesejahr Revue passieren zu lassen. Welche Bücher haben mich überzeugt, wieviele habe ich überhaupt gelesen und habe ich alles besprochen, was ich im letzten Jahr angekündigt habe?

Fange wir doch bei letzterem an. Ich hab bis auf Max Frischs "Notizbuch", welches man gar nicht rezensieren kann, wirklich alle Bücher gelesen, die ich mir vorgenommen habe und Euch an meinem Leseerlebnis teilhaben lassen. Natürlich sind noch zahlreiche andere Werke hinzugekommen. Insgesamt kann ich - mit dem kurz vor dem Abschluss stehenden aktuellen Lektüre - auf 42 Romane zurückschauen. Einige davon habe ich als Hörbuch genossen.

Ich hatte den Eindruck, als ob nur wenige echte Highlights unter den gelesenen Büchern waren. Nach meiner Sichtung hier meine Top 10 des Jahres 2012:
  1. Zsuzsa Bánk: Die hellen Tage
  2. Hermann Hesse: Der Steppenwolf
  3. Isabel Allende: Von Liebe und Schatten
  4. Carson McCullerse: Das Herz ist ein einsamer Jäger
  5. Eugen Ruge: In Zeiten des abnehmenden Lichts
  6. Arno Geiger: Der alte König in seinem Exil
  7. Wolfgang Herrndorf: Sand
  8. David Benioff: Stadt der Diebe
  9. Siri Hustvedt: Der Sommer ohne Männer
  10. Marie-Sabine Roger: Der Poet der kleinen Dinge
Im nächsten Jahr wird es etwas ruhiger werden auf meinem Blog. Ich werde nicht mehr soviel zu lesen und erst Recht nicht zum Bloggen kommen, da auf meiner privat-beruflichen Agenda zumindest hochstrebende Pläne stehen. Dennoch werde ich den Blog nicht komplett einstellen, denn ohne gute Bücher komme ich zu keiner Zeit aus. Es wird nur nicht soviel werden wie in den letzten Jahren und vielleicht braucht die ein oder andere Rezension auch ein wenig, ehe sie im Blog landet.

Auf meinem Lesestapel liegen jetzt schon folgende Bücher bereit:
  1. Rachel Joyce: Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry
  2. Franziska Gerstenberg: Wie viel Vögel
  3. Juli Zeh: Nullzeit
  4. Martin Suter: Die Zeit, die Zeit
  5. Henning Mankell: Die Chronik der Winde
  6. Gabriel García Márquez: Die Liebe in den Zeiten der Cholera
  7. Karin Fossum: Dunkler Schlaf
  8. Simon Beckett: Die Chemie des Todes
  9. Petra Hammesfahr: Der Frauenjäger
  10. William S. Burroughs: Naked Lunch 
Also freut Euch auf eine bunte Mischung. Weitere Klassiker, die in meinem Bücherschrank schon lange darauf warten, gelesen zu werden, werden ebenfalls mit von der Partie sein. Und wer weiß, welche Rezensionsexemplare mir wieder ins Haus flattern.

Nun - das sieht eigentlich schon wieder viel zu viel aus. Mal sehen, was davon zu schaffen ist.

Einen guten Rutsch wünsche ich jetzt schon einmal. Eine Rezi sollte noch kommen in diesem Jahr. Ein spannendes Jahr liegt vor mir und hoffentlich auch vor Euch!    

Donnerstag, 27. Dezember 2012

Chef Ramzis Arabisches Kochbuch

162 S., Georg Olms Verlag, 29,80 €

Arabische Küche ist hierzulande immer noch exotisch. In den Großstädten wie Berlin kennt man vorrangig die türkische Küche und diese auch nur in minimalistischer Form. In meinem letzten Urlaub in der Türkei konnte ich mich von der Vielfalt der türkischen Küche überzeugen und war vor allem begeistert von den Vorspeisen, die Mezzeh genannt werden.

Arabische Küche ist natürlich nicht auf die Türkei beschränkt. Das Buch "Chez Razmis Arabische Küche" sollte mir einen Einstieg in die ungewohnten kulinarischen Genüsse zum Nachkochen erleichtern. Beim ersten Blick in das Buch bin ich etwas erstaunt, da sämtliche Rezepte auch in arabischer Schrift angegeben ist. Dies macht sich durchaus gut, da die arabische Schrift anders als die lateinische von rechts nach links verläuft. Auch gibt es dem Buch optisch sofort einen authentischen Eindruck. Wenn das Buch auch an arabisch stämmige Leser gerichtet ist, müssen die Rezepte recht orinigalgetreu sein. Direkt auf der ersten Seite wird aber darauf hingewiesen, dass die überzetzten Rezepte deutsche Mengenangaben enthalten und gelegentlich Zutaten durch andere ersetzt wurden, da einige Lebensmittel in Deutschland einfach nicht zu bekommen sind.

Die Rezepte klingen dennoch sehr exotisch für mich. Zutaten wie Kichererbsen und Sesamsaat habe auch ich schon mal gehört, auch wenn mir auf Anhieb kein Laden einfällt, bei dem ich letzteres erstehen könnte. Aber was bitte ist Sumach? Dies wird dem Leser am Ende des Buches in einem kleinen Wegweiser erläutert, auch, wie man dieses Gewürz ersetzen kann.

Einführend werden in dem Kochbuch die Grundlagen der arabischen Küche durchstreift und ein kleines Porträt des Fernsehkochs Chez Ramzi (mir bisher unbekannt) gegeben. Der Rezeptteil ist sehr klassisch unterteilt in Mezzeh - Vorspeisen, Kibbeh - Hackfleischgerichte, Hauptgerichte sowie Süßspeisen und Gebäck.

Je Doppelseite gibt es ein Rezept: auf einer Seite das Foto, auf der anderen das Rezept. Die Fotos sind durchschnittlich und haben mich nicht restlos überzeugt, d. h. so richtig Lust aufs Kochen habe ich leider nicht bekommen. Vielleicht liegt dies aber auch an der Art der Küche, die mich nur bedingt anspricht.

Zu jedem Gericht gibt es noch eine kleine Beschreibung, die beispielsweise Varianten aufzeigt und erzählt, woher das Gericht stammt. Recht gelungen, wie ich finde. Am Ende des Buches gibt es noch ein Rezeptverzeichnis, welches jedoch nur nach dem Namen des Rezeptes und nicht nach Zutaten sortiert ist, was ich immer sehr hilfreich finde.

Alles in allem ist das Kochbuch von Chef Ramzis ein durchschnittliches Werk, welches den hohen Preis nicht rechtfertigt. Nachkochen möchte ich dennoch und deshalb werde ich mich erstmal langsam mit Vertrautem herantasten, bei dem ich weiß, wie es schmecken sollte: Hummus mit Tahini und Falafel werden meine erste Wahl sein. Vielleicht bekomme ich dann Lust auf mehr.

Mein Dank gilt noch bloggdeinbuch.de, die mir das Buch zugesandt haben. Bestellen kann man das Buch beim Verlag: hier.

Sonntag, 23. Dezember 2012

Frohe Weihnachten...

Quelle: pixelio.de
 ... wünsche ich all meinen Lesern. Ein Buch wird dieses Jahr noch gelesen, dann folgen noch ein kleiner Rückblick auf das vergangene Lesejahr. Aber bis dahin: allen ein paar besinnliche Tage, um dem hektischen Alltag ein wenig zu entfliehen.

Kate Atkinson: Das vergessene Kind

454 S., Büchergilde Gutenberg, 978-3-7632-6531-2

Viele Krimis folgen dem klassischen Schema, des etwas kauzigen oder zumindest ungewöhnlichen Ermittlers (oder Ermittlerin), der zu einem Fall gerufen wird und dann zu ermitteln anfängt. Private Belange spielen zwar eine Rolle, allerdings nur, um die Figur vertrauter zu gestalten.

Hier geht Atkinson andere Wege und läßt Tracy Teil der Kriminalgeschichte werden. Als ehemalige Polizistin und nun Sicherheitsmitarbeiterin in einem Einkaufscenter ist sie des Öfteren Zeuge von Kindervernachlässigung und gar Gewalt gegen Kinder geworden. So gerät sie eines Tages in die Situation, um einem Kind zu helfen, es gegen Bargeld aus den Händen der vermeintlichen Mutter freizukaufen. Doch als sie das Kind mit nach Hause nimmt, wird ihr schnell klar, dass dies nicht ohne Folgen bleiben wird. Ist die Frau, der sie das Geld gab, wirklich die Mutter von Courtney? Wie soll sie erklären, woher das Kind so plötzlich kommt?

Bald sieht sie sich verfolgt und glaubt, dies kann nur dem Kinde gelten. Und begibt sich auf die Flucht. Anfangs ohne Ziel und Plan. Dann werden die Personen, die sie suchen plötzlich mehr und ihr alter Kollege Barry warnt sie vor einem Privatdetektiv, der mehrmals nach ihr gefragt hat.

Der Leser wird aber auch in die Vergangenheit geschickt. 1975: Tracy und Barry sind noch im Dienst und werden zu einer Wohnung gerufen, in der ein Kind offensichtlich mehrere Wochen neben seiner ermordeten Mutter, einer Prostituierten, gerade so überlebt hat. Was ist aus dem Kind geworden? Warum will die zuständige Sozialarbeiterin keine Auskunft über den Verbleib des Jungen machen?

Und was haben die beiden Fälle miteinander zu tun? Wer trägt Schuld und wer hat Angst vor der Wahrheit?

Äußerst geschickt schafft es Atkinson, die verschiedenen Fäden nach und nach zusammen zu führen und erst am Ende weiß der Leser alle Details. Anfangs fiel es mir schwer, die vielen Personen und Erzählstränge zu überblicken, aber ungefähr in der Mitte des Buches ist man soweit in den Bann gezogen, dass man wissen will, wie alles zusammenhängt.

Ein wirklich gelungener und ungewöhnlicher Krimi mit sozialkritischem Touch. Lesenswert!

Samstag, 8. Dezember 2012

Isabel Allende: Von Liebe und Schatten

310 S., Aufbau-Verlag, 1987

Isabel Allende ist bekanntlich eine begnadete Autorin, die durch ihren Schreibstil den Leser schnell in den Bann zieht und ihn nicht mehr losläßt. In Chile groß geworden behandelt sie in ihren Romanen immer wieder die Diktatur, auch wenn ihre Werke nicht vordergründig politisch zu sein scheinen.

Immer in Familiengeschichten verpackt werden Schicksale erzählt wie sie nur in einem unterdrückten Land geschehen können. So auch in "Von Liebe und Schatten". Der Titel ist hierfür wegweisend.

Die Liebe zwischen der aus gut situiertem Hause stammenden Journalistin Irene und dem einfachen Fotografen Francisco, der bei illegalen Aktionen gegen die Diktatur beteiligt ist, steht im Mittelpunkt der Geschichte. Aber erst das Schicksal um Evangelina, die bei ihrer Geburt vertauscht wurde und in Jugendjahren unter seltsamen epilepsieartigen Anfällen leidet, bringt die beiden einander wirklich nahe. Sie begeben sich auf die Suche nach dem Mädchen, das nach einer Militärkontrolle aus dem eigenen Haus verschleppt wird und nicht mehr wiederkehrt.

Und tatsächlich bringen sie gemeinsam in Erfahrung, was mit Evangelina geschehen ist. Dabei entdecken sie jedoch ein noch viel größeres Verbrechen. Plötzlich sehen sie sich einer Verfolgung ausgesetzt, die sie unfreiwillig ins Exil nach Europa führt. Sie können noch rechtzeitig ihr gesammeltes Material an die Presse geben, aber ihr Schicksal im eigenen Land ist vorerst besiegelt, in der Hoffnung, irgendwann wieder zurückzukehren.

Allende ist es gelungen, den Schrecken der Diktatur ganz nah an den Leser zu tragen. Die Figuren sind tief gezeichnet, jede Familie, die hier eine Rolle spielt, hat ihre ganz eigene Geschichte - arm oder reich, gebildet oder schlicht, systemtreu oder opportunistisch, realitätsfern oder weitsichtig. Und dennoch sind sie alle am Ende vereint.

Ein hochpolitisches Buch wunderbar zu lesen!


Donnerstag, 29. November 2012

Paul Auster: Mann im Dunkel

219 S., Büchergilde Gutenberg, 15,90 €, ISBN 978-3-7632-5974-8

Paul Austers "Mann im Dunkel" ist ein kleines Kabinettsstück, welches den Leser in die Vergangenheit, in die Gegenwart und in die Gedanken des ehemaligen Literaturkritikers August Brill, der krank im Rollstuhl sitzt und nachts nicht schlafen kann, bringt.

Um den Gedanken an die schrecklichen Geschehnisse rund um seine Familie zu entfliehen, denkt er sich eine Geschichte aus. Ein Mann wacht in einer Grube auf und weiß nicht, wie er hineingekommen ist. Er befreit sich, macht sich auf die Suche und erfährt, dass er sich zwar im Jahre 2007, aber in einem Bürgerkrieg befindet, die die Vereinigten Staaten untereinander führen.

Um in sein altes Leben zurückzukehren, wird er beauftragt, einen Mann zu töten. Den Mann, dem der Bürgerkrieg zu verdanken ist - August Brill. Denn nur in dessen Gedanken existiert dieser Krieg, indem soviele Menschen sterben müssen.

Soweit zum ersten Teil des Buches.

Die Nacht schreitet voran und Brills Enkelin, die ein traumatisches Ereignis hinter sich hat und seitdem im Haus ihrer Mutter wohnt, in dem auch August Brill Zuflucht gesucht hat, klopft an dessen Tür. Sie reden über vieles, über Brills Vergangenheit, seine große Liebe Sonia, ihren Tod und über die Tragödie, die alle vereint und nicht schlafen läßt.

Anfangs fand ich die Geschichte sehr skurril. Zunehmend nahm sie mich aber in den Bann. Die Idee, eine Geschichte in der Geschichte zu erzählen, gefiel mir, auch den Bogen, den diese zurück zu Brill bringt, hat etwas. Warum er diesen spannt, bleibt der Interpretation des Lesers überlassen: Selbstmordgedanken, moralische Verantwortung oder einfach nur Stilmittel? Man kann vieles daraus lesen.

In der Mitte des Buches dann der Wechsel in die Gegenwart. Der Ausgangspunkt wird wieder hergestellt, wir erfahren, von welchen Gedanken sich die Familie ablenken will, warum Großvater und Enkelin nicht schlafen können. Eine Rückkehr in das Kopfkino erwarten wir vergeblich.

Hochpolitisch ist das Buch, mit zahlreichen Anspielungen auf den Terror der Neuzeit, der auch anders hätte stattfinden können. 9/11, Irak oder Bürgerkrieg. Amerika als Ganzes ist traumatisiert. In der geschaffenen Parrallel-Traumwelt tobt sich Auster aus, um dann im Hier und Jetzt eine eigene Tragik zu erleben.

Am Ende bleibt ein Satz: "Die wunderliche Welt dreht sich weiter" und dieser Satz läßt hoffen, dass die Familie ihren Frieden macht mit ihrer Vergangenheit und alle wieder schlafen können.

Montag, 26. November 2012

Weihnachtliche Lesetipps

Da Weihnachten nicht mehr lang hin ist und gerade die Adventszeit zum Lesen und Vorlesen lockt, will ich heute von Euch wissen, welche Bücher und Geschichten mit weihnachtlichem Ambiente ihr kennt und empfehlen könnt.

Mein ultimatives Weihnahtsbuch ist "Das Fest" von John Grisham - bissig und höchst amüsant. Dickens "Weihnachtsgeschichte" hingegen finde ich viel zu rührselig, auch wenn sie ein Klassiker ist.

Also her mit Euren Vorschlägen, damit ich in der Vorweihnachtszeit auch guten Lesestoff habe.

Ich freue mich auf alle Kommentar!

Mittwoch, 21. November 2012

Timur Vermes: Er ist wieder da

396 S., Eichborn, 19,33 €, ISBN 978-3-8479-0517-2

Ich war doch neugierig geworden auf dieses Buch, da ich einige positive Kritiken gelesen habe und ich wissen wollte, ob es an "Die Nachhut", von dem ich so begeistert war, herankommt.

Die Grundidee ist geklaut, soweit lege ich mich fest, auch wenn es hier Hitler selbst ist, der plötzlich "wieder da" ist und er sich schnell mit der aktuellen Situation abfindet und ganz anders agiert als die "Nachhut". Er wacht auf einem leerstehenden Grundstück auf, etwas verstaubt und reichlich nach Benzin stinkend. Wie das möglich ist 66 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges bleibt ein Rätsel und wird nicht weiter erklärt - was ich bereits als ersten großen Fauxpas empfinde.

Nach dem ersten Schrecken der Erkenntnis, in welchem Jahr er sich befindet, landet Hitler in einem Kiosk. Der Besitzer kümmert sich rührend um ihn und meint, in ihm einen genialen Imitator gefunden zu haben. Da dieser einige Leute von Filmproduktionen kennt, empfiehlt er Hitler weiter und bald sieht sich dieser in einer Comedyshow wieder, die er jedoch nicht als solche erkennt und für einen neuen Propagandafeldzug nutzen will.

Das gelingt ihm auch ordentlich, das Publikum ist begeistert, dass hier einer auf satirische Weise ausspricht, was sie denken. Sie lachen über seine "Witze", ernst nimmt das Gerede keiner. Den Finger in die wunden Stellen Deutschlands scheint der auferstandene Hitler zu legen und das mit zunehmenden Erfolg.

Die Produktionsfirma steht stramm und gibt ihm zuliebe gar den Hitlergruß. Da bleibt dem Leser doch das Lachen im Halse stecken. Überhaupt fand ich das Werk nur leidlich lustig. Echte Pointen gibt es nur wenige, die meisten Schmunzeleinlagen sind so böse, dass ich sie grenzwertig finde.

Genau wie Hitler im Buch nach seiner Vergangenheit und Gesinnung gefragt wird, so stellt sich mir die Frage nach der Hintergrundmotivation des Autors. Wenn Hitler beispielsweise die Bild-Zeitung vorführt, so kann man sich insgeheim freuen über diesen gelungenen Schachzug. Auch die NPD bekommt ihr Fett weg und wird der Lächerlichkeit preisgegeben. Aber sollte man mit Hitler lachen können? Und sollte man einigen seiner Ausführungen innerlich zustimmen, vor allem, wenn es fraglich ist, ob er tatsächlich so denken würde, lebte er wirklich in der heutigen Zeit?

Ich konnte nicht immer alles nachvollziehen und bezweilte an vielen Stellen, dass ein Adolf Hiter so reden würde. Wahrscheinlich wollte der Autor genau dies bezwecken: wir sollen begreifen, wie leicht es ist, den Ansichten zu folgen, wie schnell es gehen kann, dass ein echter "Führer" uns wieder verführt.

Dies ist ein löbliches Anliegen, jedoch hat mich das Buch nicht überzeugt. Es ist gut geschrieben und hier und da fehlt es nicht an Witz - leider aber an Logik. Hitler erliest sich sehr schnell seine Situation: er ist über 100 Jahre alt, der Krieg ist zuende, die Grenzen des "Reiches" sind völlig anders als von ihm geplant und er selbst gilt als tot. Dennoch scheint er nicht zu begreifen, warum ihn alle nach seinem "richtigen" Namen fragen und sich wundern, warum er seinen Bart und seine Uniform außerhalb der Auftritte nicht ablegen will. Von derlei Unstimmigkeiten wimmelt das Buch. Das hat mich eigentlich am meisten gestört. Anpassung an die neue Zeit - ja, aber der Mensch Hitler lebt, als hätte es seinen Tod offiziell nicht gegeben. Sehr seltsam.

Fazit: "Die Nachhut" bleibt unangefochten. Die Grundidee ist nun mal kein Garant für kluge Literatur. Eines wird der Autor dennoch erreichen. Das Buch wird sich verkaufen und das noch nicht mal zu unrecht. Geeignet für eine kontroverse Diskussion ist es allemal.

 

Dienstag, 13. November 2012

Ingo Schulze: Simple Storys

302 S., Berlin Verlag, ISBN 3-8270-0051-3, 19 €

Dieses - als großer Wurf der Nachwendezeit gefeierte - Buch über kleine, aneinandergereihte Schicksale ehemaliger DDR-Bürger ist bereits einige Jährchen alt. Die Erstveröffentlichung war 1998. Ich habe das Buch erst jetzt gelesen und finde wenig von der ostdeutschen Besonderheit. Vielmehr lesen sich die Geschichten, als ob sie auch heute noch in allen Teilen des Landes geschehen können.

Es geht um die alltäglichen Dinge, um Politik und Zivilcourage, von Trennung und Patchworkfamilien, von neuen Jobs, großen Träumen und großen Niederlagen, von Reisen in die weite Welt und Geldmangel allerorts.

Sicher werden immer wieder Aspekte persönlicher, nur in der DDR möglicher, Schicksale eingeflochten. Diese sind aber nicht wirklich maßgeblich für das was den Protagonisten geschieht. In dieser Hinsicht hätte ich mir mehr von diesem Buch erwartet.

Die Mischung finde ich dennoch gelungen. Die einzelnen Geschichten greifen im Laufe des Buches alle irgendwie ineinander über. Die Ansiedlung in einer Kleinstadt (Altenburg) liegt somit auch auf der Hand: in kleinem Rahmen kennt jeder jeden über drei Ecken und so fügen sich "Short Storys" zu einer Art Roman.

Nachwendeschicksale politisch Verantwortlicher und politisch Verfolgter findet man in diesem "Roman aus der ostdeutschen Provinz" jedoch nicht. Vielleicht wollte der Autor gerade die Unauffälligen porträtieren, vielleicht vermied er aber auch aus Angst vor Missverständnissen und aus Angst vor kritischer Auseinandersetzung die brisanten Themen.

Deshalb ein wenig schade um das Buch.

Samstag, 3. November 2012

Jan Brandt: Gegen die Welt

927 S., Büchergilde Gutenberg, 19,95 €, ISBN 978-3-7632-6511-4

Alles, was Daniel Kuper auch in seinem Leben tut, ist "gegen die Welt". Ob er angeblich von Außerirdischen entführt und wieder im Kornfeld freigelassen wird, ob er angeblich Hakenkreuze an die Wände seines westdeutschen Heimatdorfes Jericho pinselt, ob er angeblich verantwortlich ist für den Freitod eines Klassenkameraden auf den Schienen.

So jedenfalls sehen es seine werten Dorfmitbewohner. Und selbst seine Eltern glauben ihm nicht, dass er immer wieder in Situationen gerät, an denen er weder Schuld hat, noch das getan hat, was ihm unterstellt wird. Und dies nur, weil er irgendwie dazu gehören will.

Das Spießbürgertum und die Dekadenz der Jerichower Bürger lassen Daniel keinen Raum für seine überbordende Phantasie und Grundintelligenz. Er wird zur Figur, die für alles verantwortlich gemacht wird, was schief läuft im Dorf.

Aber eigentlich ist das Buch ein Sammelsurium skurriler Geschichten. Hard - Daniels Vater - zum Beispiel, liebt seine Frau, hat aber einige Affairen gleichzeitig und wie er diese händelt, ist allemal ein Schmunzeln wert. Oder Daniels Freund Onno, der Musikenthusiast, der sich ausgerechnet die Bühne wählt für seinen spektakulären Abtritt. Oder Stefan, der sich verfolgt fühlt von Außerirdischen, die seiner Ansicht nach die Welt erobern, indem sie sich den Menschen als Wirt bemächtigen.

Im Laufe des Romans fragt man sich als Leser, wohin uns die Geschichte führen will, was ist die Essenz. Aber sie lebt wie jeder große Roman von der Schilderung alltäglicher Ereignisse, die ein Porträt einer Zeit sind. In diesem Fall die Zeit kurz vor und nach der Wiedervereinigung. Welche Auswirkungen die Einheit für die westdeutschen Provinzler hat, wie sie zu den zugezogenen Ostdeutschen im kurzerhand umgetauften "Kumponistenviertel" stehen. Wie schwer der Kampf der kleinen Läden gegen die sich geschwürartig ausbreitenden Filialisten wurde. Wie sich die Wahl der Schulform auf das gesellschaftliche Umfeld der Jugendlichen auswirkt.

Am Ende bleibt es dem Leser überlassen, ob er an eine Verkettung vieler seltsamer Umstände glaubt oder sie als Folge der Beschränktheit der Dorfbewohner hält. Oder ist es gar der Einfluss der Außerirdischen, der für die gesammelten Absurditäten von Jericho (welch bezeichnender Name!) verantwortlich ist? Ich selbst war geneigt, dem letzten Glauben zu schenken. Mich amüsiert dieser Gedanke.

Brandt bedient sich außerdem mit gewisser Freude drucktechnischer Stilmittel, die dem Buch einen gewissen Kick geben. So wird beispielsweise für ca. 150 Seiten das Buch zweigeteilt und zwei Erzählperspektiven parallel geführt. Solche Spielereien gibt es noch weitere: Briefe haben eine Schreibmaschinenschrift mit handschriflichen Einschüben. Die Vernebelung des Geistes aufgrund von Alkohol oder Ohnmacht verblasst auch im Schriftbild.

"Gegen die Welt" ist ein wirklich lesenswerter Roman. Zur absoluten Begeisterung fehlte mir noch die große Klammer, die alles (wirklich schlüssig) zusammenhält. Dennoch war der Roman in meinen Augen zu Recht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2011. Eine Empfehlung!

Mittwoch, 17. Oktober 2012

Stefanie von Wietersheim: Vom Glück mit Büchern zu leben

200 S., Callwey, 29,95 €, ISBN 978-3-7667-1934-8

Bücher, die über Bücher handeln sind für Bücherverrückte wie mich Pflicht. Auch wenn ich inzwischen ein eBook-Leser bin, so liebe ich doch mein Bücherregal und ich werde mir auch - sobald ein Zimmer in meinem Haus frei wird - eine eigene Frauenbibliothek einrichten. Wie das aussehen soll, weiß ich jetzt schon.

Das vorliegende Buch - welches ich über bloggdeinbuch.de bekommen habe - ist dennoch ein schöner Einblick in die Bibliotheken namenhafter Bücherliebhaber. Nach einer Einleitung werden insgesamt zwanzig Bücherrefugien vorgestellt. Dabei sind u. a. Wolfram Siebeck, Florian Langenscheidt und Barbara Schöneberger.

Zu jedem Prominenten gibt es eine kleine Geschichte ihrer individuellen "Literaturkarriere": wie sind sie zum Buch und zum Lesen gekommen, was hat sie geprägt, welche Rolle spielt das Buch in ihrem Leben. Tolle Fotos von Claudia von Boch illustrieren die Rückzugsorte. Regale, Leseplätze und Arbeitsräume werden für uns geöffnet. Mein persönlichen Geschmack traf hier besonders der Gourmetkritiker Wolfram Siebeck, der schlichte Räume gemütlich gestaltet hat. Sehr originell bringt Oliver Jahn, Chefredakteur der Zeitschrift AD seine Bücher unter, und zwar mit dem Buchschnitt nach vorn. So ist das Regal fast komplett eine weiße Wand. Äußerst plüschig und standesgemäßg präsentiert sich hingegen die Bücherwelt von Alexander Fürst zu Schaumburg-Lippe.

Besonders schön fand ich, dass am Ende jeder Episode die Akteure einige persönliche literarische Fragen beantworten: Mein schönster erster bzw. letzter Satz; welches Buch ihr Leben verändert hat; ein Buch, das sie mal gerettet hat; ein Buch für Stunden der Melancholie; ein Klassiker, der besonders gelangweilt hat; welches Buch sie gern selbst geschrieben hätten und letztendlich, was gerade auf dem Nachttisch liegt. So wurden mir viele Bücher ans Herz gelegt, die ich noch gar nicht kannte. Und einige Antworten ließen mich schmunzeln, so hat "Geheime Tips von Donald Duck" angeblich das Leben des Kunstsammlers Ivo Wessel verändert. Und "Doktor Shiwago" wird einmal als langweiler Klassiker genannt.

Komplettiert wird das Werk mit einer Liste der Lieblingsbuchhandlungen der Protagonisten. In der Liste entdeckte ich den Flohmarkt am Berliner Museumsufer wieder, auf dem ich selbst schon zahlreiche Romane erstanden habe.

Das Buch lädt zum Blättern, Schmökern und Verweilen ein. Wirklich Spektakuläres oder Neues bietet der Band aber nicht. Ähnliche Bücher gibt bereits einige auf Markt. Wer ein Buch für Weihnachten zum Verschenken oder Schenken lassen sucht, dem kann ich "Vom Glück mit Büchern zu leben" durchaus empfehlen.

Hier kann man das Buch direkt beim Verlag bestellen.

Montag, 15. Oktober 2012

Mein Urlaub mit dem eBook - Elizabeth Georges "Glaube der Lüge"

705 S. (Printausgabe), Goldmann, 24,99 €, ISBN 978-3-44231251-1

Vor meinem Urlaub ergab sich ein verlockendes Angebot: ich wurde gefragt, ob ich Lust hätte beim eLiteratur-Tipp von deals.com mitzuwirken. Und da ich bereits eifriger Leser von eBooks bin, habe ich gern zugesagt. Ich konnte mir bei PagePlace ein Buch meiner Wahl aussuchen und nach der Lektüre sind nun meine Eindrücke vom Buch ebenso gefragt wie das Leseerlebnis mit dem eBook.

Meine Wahl fiel auf Elizabeth George, meine absolute Lieblings-Krimibuchautorin, deren neuestes Werk noch nicht als Taschenbuchausgabe da ist und deshalb auch noch nicht in meinem Besitz war.

Außerdem stand mein Urlaub in die Türkei gerade bevor. Das ergab sich also gut: Buch runtergeladen auf meinen Trekstor Liro Colour und ab damit ins Flugzeug.

Zuerst mal etwas zu dem Buch. Der Roman führt den Leser zu einem neuen Fall für Inspektor Lynley und seiner Assistentin Barbara Havers. Lynley selbst ist auf dem besten Wege, nach dem tragischen Mord an seiner Frau Helen, wieder in ein halbwegs normales Leben. Da ereilt ihn der Auftrag seines Vor-Vorgesetzen Hillier in einem Unglücksfall zu ermitteln. Ein Bekannter von Hillier, Bernard Fairclough bittet Lynley, den Tod seines Neffen Ian zu untersuchen, der im Bootshaus offensichtlich beim Versuch auszusteigen ins Wasser stürzte und mit Schädelbruch ertrank. Offiziell will Fairclough nur sichergehen, dass sein früher drogensüchtiger Sohn nicht in irgendeiner Weise in diesen Todesfall verwickelt ist.

Lynley beginnt also zu ermitteln und bittet seine Freunde Deborah und Simon ihn zu begleiten und ihm zu helfen. Havers wird im Laufe der Ermittlung ihren Chef von London aus unterstützen. Lynley stößt auf eine Familie, die einige Geheimnisse zu verbergen hat und (fast) alle scheinen ein Motiv zu haben, Ian aus dem Weg zu räumen. Denn er war der Finanzverwalter des Familienbetriebes, der auf Unregelmäßigkeiten bei Zahlungen gestoßen ist.

Da ist zum einen die durch einen schweren Unfall Zeit ihres Lebens gehandicapte Tochter von Fairclough und Zahlungen an eine ehemalige Sekretärin von Bernard. Aber auch die Exfrau von Ian, von der er sich für einen Mann getrennt hat, ist voll Rachgelüste und käme als Täterin in Frage.

Im Laufe der Geschichte stoßen die Ermittelnden auf mancherlei düstere Verwicklungen. Und nicht jedem ist die Offenlegung dieser Geheimnisse recht. Eins jedoch wird klar - es ist und bleibt ein Unfall. Viele Motive, aber keine Tat. Soviel kann man doch verraten.

Nun werden vielleicht einige Krimifans enttäuscht sein, aber der Roman liest sich dennoch sehr spannend und man will das Buch in jedem Fall zu Ende lesen. Die Charaktere sind wie immer von Elizabeth George sorgfältig gezeichnet. Insgesamt ist mir persönlich aber etwas zuviel gewollt in einem einzigen Roman. Die Ideen, die die Autorin hier miteinander verknüpft, hätten auch für mehrere Bücher Stoff genug gegeben. Deshalb wirkt die Geschichte doch etwas weit hergeholt und unglaubwürdig.

Auch agieren die Hauptpersonen Lynley und Deborah nicht immer so nachvollziehbar wie in früherern Romanen Georges. Lynley hat sich mit seiner Affaire zu Isabelle Ardery keinen Gefallen getan. Diese Verbindung hat mich schon im letzten Buch gestört, da sie so gar nicht zu ihm passen will. Gott sei Dank erledigt sich das am Ende des Buches und läßt auf Besserung im nächsten Band hoffen. Deborah hingegen verrennt sich in ihren Ermittlungen und vermischt private Angelegenheiten mit denen von Verdächtigen und löst damit am Ende eine Katastrophe aus. Das ist zwar verständlich, aber doch etwas überzogen dargestellt.

"Glaube der Lüge" ist sicher nicht der beste Roman von Elizabeth George, für Fans wie mich ist er dennoch ein Muss und der Cliffhanger zu Lynley und Havers läßt Vorfreude auf den nächsten, hoffentlich richtigen Krimi entstehen.

Wie bereits oben beschrieben, habe ich das Buch als eBook auf dem Trekstor gelesen. In der Regel lese ich eBooks vor allem in der S-Bahn auf dem täglichen Weg zur Arbeit, einfach, um nicht soviel mit mir rumschleppen zu müssen. Ebenso im Urlaub finde ich einen eBook-Reader sehr praktisch, kann man doch mit einem kleinen Teil soviele Bücher mitnehmen, wie man gar nicht schafft, im Urlaub zu lesen.

Das Lesen auf dem eReader finde ich nicht anstrengend, auch das Gefühl des Buches in der Hand fehlt mir nicht. Mich hat allerdings sehr gestört, dass ich am Strand kaum etwas auf dem Bildschirm erkennen konnte. Dies trifft aber nur Geräte mit normalem Display (auch das Handy oder iPad, auf denen ich ebenfalls schon gelesen habe). Deshalb würde ich jedem raten, einen Reader mit eInk zu kaufen. Bücher mit elektronischer Tinte kann man genauso problemlos draußen lesen wie ein normales Buch.

Als weiteren Nachteil kam hinzu, dass beim Fliegen elektronische Geräte möglichst ausgeschaltet sein sollen. Da ich nachts geflogen bin, war es diesmal nicht so schlimm, aber bei längeren Flügen kann das schon nerven. Auch fehlt mir jetzt nach dem Ende der Lektüre das physische Exemplar, welches ich in mein Regal neben die anderen Bände der Lynley-Reihe stellen kann.

Für mich wird künftig beides - eBook und das physische Buch - nebeneinander existieren. Nur jedes zu einem anderen Zweck. Im Bett nehme ich den dicken Wälzer gern zur Hand, unterwegs lieber das eBook. Und wenn ich weiß, dass ich viel im Freien lesen werde, muss entweder ein anderer eReader her oder ich nehme zwischendurch mal eine Zeitschrift zur Hand.

Hier gibts die Links für beide Ausgaben:

 ePub

Kindle-eBook

 

Mittwoch, 10. Oktober 2012

Haruki Murakami: Gefährliche Geliebte

230 S., DuMont, ebook, 5,99 €, ISB 978-3-83214781-5

Mein erster Murakami - endlich. Voll großer Erwartungen, da viele Leser ja regelrechte Fans sind. "Gefährliche Geliebte" stand schon wirklich lange auf meiner Wunschliste und ich weiß gar nicht genau, warum ich das Buch nicht schon längst gelesen habe.

Erzählt wird die Geschichte von Hajime, der als Einzelkind aufgewachsen jahrelang ziellos durch sein Leben irrt, um später in einer bürgerlichen Existenz mit Frau, Kind und als Besitzer zweier Jazz-Bars vorerst seine Ruhe zu finden.

Aus der Ich-Perspektive erleben wir seine Kindheit und die Prägung als Einzelkind. Hajime lernt Shimamoto kennen, die ebenfalls ein Einzelkind ist und die ihn versteht, wie kein(e) andere(r). Eine erste zarte Teenager-Liebe entsteht. Doch nach der Grundschule verlieren sie sich aus den Augen. Er lernt ein neues Mädchen kennen, dem er aber das Herz bricht, als er mit deren Cousine eine wilde Affäre anfängt.

Immer wieder denkt er an Shimamoto und fragt sich, wo sie geblieben ist. Manchmal meint er sie auf der Strasse wiederzuerkennen. Doch er ist sich nie sicher.

Dann verliebt er sich in Yukiko, die seine Frau wird. Endlich scheint er angekommen in seinem Leben. Gelassenheit macht sich breit und er ist zufrieden mit sich, seiner Familie und seinem Beruf. Bis eines Tages unerwartet Shimamoto in seiner Bar am Tresen sitzt. Nach über 20 Jahren ist aus dem jungen Mädchen eine wunderschöne Frau geworden. Sie gibt sich geheimnisvoll, will nicht über ihre Vergangenheit sprechen. Sie kommt und geht wieder und Hajime fragt sich jedesmal, ob er sie wiedersehen wird. In ihm wächst der Wunsch, wieder mit ihr zusammen zu sein, sein Leben aufzugeben, um mit der Frau zu leben, die er bereits als Kind geliebt hat.

Leidenschaft prägt ihre Beziehung. Gar nicht mal im körperlichen Sinne, aber sie können beide nicht ohne einander. Nach der ersten gemeinsamen Nacht fasst Hajime einen Entschluss, doch Shimamoto verschwindet in genau diesem Moment wieder aus seinem Leben.

Das Werk läßt mich etwas zwiespältig zurück. Der große Wurf - wie erwartet - war es nämlich nicht für mich. Langsam, wie in einem Fluss, erzählt Murakami diese Geschichte. Man kann sich ihr nicht entziehen. Lange Zeit wirkt das Buch auf mich gar nicht wie ein Roman, sondern eher wie eine Alltagsschilderung, ja geradzu eine Art Tagebuch. Begebenheiten, die für die Geschichte keine Rolle spielen, werden ausgebreitet: ob z. B. der Schwiegervater Hajime in nebulöse Geldgeschäfte drängt oder wie die Bar renoviert. Mich hat diese Erzählweise zwischenzeitlich doch befremdet.

Auch werden die Geheimnisse, die Shimamoto umgeben, am Ende nicht gelüftet, obwohl gerade diese die Geschichte vorantreiben. Ich habe bisher noch keine Leseerfahrung mit japanischen Schriftstellern und denke, die Art des Schreibens hat viel mit der asiatischen Mentalität zu tun, die mir hier und da fremd erscheint.

Und dennoch mag ich das Buch. Das Dilemma, in dem Hajime steckt, kennen sicher viele von uns. Bürgerliche Existenz und Familie, Geborgenheit und Verlässlichkeit auf der einen Seite steht im Gegensatz zu Leidenschaft und nicht gelebten Träumen. Vor einer Entscheidung und deren Konsequenzen stehen die meisten mindestens einmal im Leben. In dieser Situation kann einem dieses Buch ein Begleiter sein.

Als ePub

Als Kindle-ebook

   

Dienstag, 9. Oktober 2012

Peter Himmelhuber: Soforthelfer Pflanzenschnitt

126 S., Kosmos, 14,99 €, ISBN 978-3-440-13238-8

Heute möchte ich mal ausser der Reihe ein Sachbuch besprechen, da ich schon lange auf der Suche nach einem so praktischen Werk war.

Ich besitze ja nun schon seit ein paar Jahren einen Garten, habe aber leider keinen grünen Daumen und bin oft hilflos dem Wildwuchs und den Naturgegebenheiten ausgesetzt. Es gibt Jahre, da wachsen mir meine Pflanzen regelmäßig über den Kopf, in anderen wieder blüht nichts oder meine Obstbäume tragen keine Früchte und ich weiß nicht recht, woran es liegt.

Dass Pflanzen hin und wieder beschnitten werden müssen, ist aber auch mir nicht entgangen, jedoch hatte ich bisher keine Ahnung, wie. Meine bisherigen Gartenbücher machten daraus eine regelrechte Wissenschaft, mit seitenlangen Texten und schlechten Bildern, so dass man als Gartenliebhaber schon gar keine Lust mehr hatte, sich mit der Materie zu beschäftigen.

Nun fiel mir aber dieses wunderbare Nachschlagewerk in die Hände. In kurzenn, knackigen Sätzen und aufschlussreichen Bildern wird auch dem Laien wie mir verständlich das Wichtigste zum Thema Pflanzenschnitt vermittelt.

Beginnend mit einem Basiswissen-Teil, in dem u. a. Werkzeuge, richtige Schnitttechniken und die Wachstumsgesetze erläutert werden, widmen sich die folgenden Teile den unterschiedlichen Pflanzenarten, denn jede Gattung hat seine eigenen Gesetzmäßigkeiten beim Beschneiden. Obstgehölze, Ziersträucher, Rosen und Stauden werden behandelt und ebenso Hecken, Kletterpflanzen und sogar der Formschnitt, der z. B. beim Buchsbaum zur Anwendung kommen kann.

Zu jeder beschriebenen Sorte innerhalb der Pflanzenfamilie gibt es eine übersichtliche Doppelseite, auf der die wichtigsten Eigenschaften der Pflanze, auf die man achten muss, beschrieben werden. Dazu gehören die Bodenbeschaffenheit, der Standort und was die Pflanze gar nicht verträgt. Es wird auf den Pflanzschnitt ebenso eingegangen wie auf den Verjüngungsschnitt. Als besonderen Tipp gibt es den sogenannten "Soforthelfer", der noch einmal Besonderheiten hervorhebt.

Was mir ein wenig fehlte, war ein Jahreskalender, in dem auf einen Blick zu erkennen wäre, in welchem Monat oder zu welcher Jahreszeit welcher Schnitt fällig wird. Dies wäre eine große Hilfe gewesen.

Ich werde dieses Buch ab jetzt öfter zur Hand nehmen, v. a. wenn ich mir wieder einmal unsicher bin, wo ich genau ich meine Schere ansetzen soll und wann ich meine Pflanzen besser verschone.

Sonntag, 7. Oktober 2012

Jonas Winner: Der Architekt

379 S, Knaur, 9,99 €, ISBN 978-3-426-51275-3 

Jonas Winner, bisher als Journalist und Drehbuchautor tätig, hat seine Schriftstellerkarriere im Netz mit einem Fortsetzungsthriller "Berlin Gothic" begonnen. Diesen habe ich zwar nicht gelesen, aber ich kann nach der Lektüre vom "Architekt" nachvollziehen, dass die Fangemeinde sich dem Sog der Geschichte nicht entziehen konnte.

"Der Architekt" ist ein spannender Thriller, welcher den Leser in Atem hält. Die Familie eines bekannten Berliner Architekten wird brutal ermordet in ihrem Haus aufgefunden. Die Frau und die beiden kleinen Mädchen sind erschlagen worden. Der Ehemann gerät schnell unter Verdacht.

Nun soll ihm der Prozess gemacht werden, der jedoch nur auf Indizien beruht, denn Julian Götz ist bekannt für seine emotionalen Ausbrüche. Die Spuren im Haus weisen auf keinen anderen Täter hin.

Ben Lindenberger, ein recht erfolgloser Drehbuchautor ist fasziniert von dem Fall und wittert seine Chance für einen literarischen Durchbruch. Er bietet Götz seine Hilfe an: er schreibt ein Buch über diesen Fall und läßt ihn seine Sicht der Dinge schildern - der unschuldige Stararchitekt, der durch den Verlust seiner Familie zerstört ist und zudem noch in die Fänge der Justiz gelangt.

Götz willigt nach einigem Zögern ein und läßt Lindenberger sein Alibi - eine Edelprostituierte - ausfindig machen. Bei seinen Recherchen innerhalb der Familie stößt Ben auf ein "Haus im Haus" - von außen unsichtbar, nur für Eingeweihte erreichbar, konstruiert für sexuelle Exzesse - ein Club für Auserwählte.

Er versucht, herauszubekommen, wo sich dieses Haus befindet und nach langer Suche findet er es auch. Er verschafft sich Einlass und gerät in einen Sog, der das Haus auf ihn ausübt.

Parrallel dazu wird die Geschichte von Mia erzählt, die sich in einen exzentrischen Club begibt, um in einer außergewöhnlichen Location ihren Spaß zu haben. Doch ihr Aufenthalt dort endet in einer Gefangenschaft. Sie kommt nicht mehr aus dem Club heraus, vielmehr wird sie in einen geschlossenen Raum gebracht, der offenbar nur zu dem Zwecke dient, Mia als moderne Sexsklavin zu halten.

Wie diese beiden Erzählstränge zusammenhängen, ist sicher schon zu erahnen. Welche Rolle der Architekt dabei spielt und ob er dennoch der Mörder seiner Familie ist, bleibt bis fast zum Schluss offen. Spannend zu lesen ist es allemal. Allerdings ist die Geschichte doch äußerst realitätsfern, was mir im Laufe dieser immer mehr aufstieß. Gute Krimis sind für mich auch immer in den Handlungen und Charakterisierung der Figuren begründet. Dies ist hier nicht der Fall. Die Figuren bleiben flach und wirklich nachvollziehbar sind die Motive nicht.

Also alles in allem ein mäßiger Roman.

 

Donnerstag, 20. September 2012

David Benioff: Stadt der Diebe

Spieldauer: 7h 18m, gekürzt, gelesen von Heikko Deutschmann, Random House Audio







Hörprobe 

Hörbuch-Download David Benioff - Stadt der Diebe

Jetzt hab ich das Hörbuch bereits zweimal angehört und bin wieder verzückt. Zum einen von der großartigen Darbietung des Heikko Deutschmann, der die beiden Freunde Lew und Kolja lebendig werden läßt. Und zum anderen von dem Humor, den diese doch zuweilen düstere Geschichte trägt.

Es sind harte Zeiten - die letzten Kriegsjahre in Leningrad. Es gibt kaum etwas zum Essen, der Patriotismus der ersten Kriegsjahre ist verflogen. Die Menschen versuchen sich am Leben zu halten - mit allen Mitteln.

So auch Lew und Kolja, deren seltsame Freundschaft beginnt, als beide wegen Kriegsverbrechen beschuldigt werden - der eine wegen Plünderung eines Toten, der andere wegen Fahnenflucht. Es droht ihnen die Todesstrafe, aber eine Möglichkeit bleibt ihnen. Sie sollen für den Oberst in nur ein paar Tagen ein Dutzend Eier besorgen, die in diesen Kriegszeiten so gut wie nicht mehr zu bekommen sind. Die Tochter des Oberst heiratet und für die Hochzeitstorte werden dringend Eier benötigt.

So ziehen die beiden - etwas ziellos - los. Und daraus entwickelt sich ein Roadmoavie ganz anderer Art. Sie begegnen den merkwürdigsten Gestalten: Menschenfressern, Kriegsverbrechern und -opfern. Der Kampf ums Überleben prägt sie alle. Und keiner hat etwas abzugeben, schon gar keine Eier.

Mal drastisch, mal einfühlsam erzählt Benioff diese Geschichte. Wenn Kolja von seinen sexuellen Erfahrungen, seinen Verdauungsproblemen oder über ein Buch, das niemand kennt, erzählt, muss man oft schmunzeln. Er versucht das Leben zu nehmen, wie es kommt und selbst in harten Zeiten den Humor nicht zu verlieren.

Aber wenn es bitter wird, wenn die russischen Prostituierten deutscher Soldaten von Foltermethoden erzählen, wird auch Kolja still. Und treibt ihn an, zu kämpfen, auf seine Art. Lew wirkt hingegen ruhiger, wenn auch weniger erfahren. Er folgt Kolja, aber nicht blind. Und nur durch ihren Zusammenhalt, ihre Freundschaft gelingt den beiden das fast Unmögliche.

Heikko Deutschmann läßt die beiden Helden lebendig werden als würden sie neben einem stehen. Er schafft es, Koljas forsches Wesen zu lieben, Lews Zweifel zwischen dem Gesagten zu spüren und mit zu leiden in den düsteren Momenten, die die beiden erleben.

Großartig!

 

Samstag, 15. September 2012

Petra Hammesfahr: Der stille Herr Genardy

333 S., Rowohlt, 8,50 €, ISBN 3-499-23030-5

Petra Hammesfahr ist eine der führenden deutschen Krimiautoren und zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich bisher noch kein Buch von ihr gelesen habe. Vor kurzem fiel mir aber dieser doch wohl sehr bekannte Roman von ihr in die Hände. Er wurde sogar erfolgreich verfilmt mit Iris Berben in der Rolle der Sigrid Pelzer.

Sigrid Pelzer ist eine unsichere Person, von ihrer Mutter immer lieblos behandelt, die kleine Schwester immer vorgezogen, heiratet sie den ersten Mann der ihr begegnet. Franz ist ein ganz Lieber. Er kümmert sich umsichtig um Sigrid und eigentlich kann sie sich gar nicht über ihn beklagen. Warum nur wird ihr ganz beklommen, wenn am Samstagabend der Liebesakt ansteht? Er ist doch ganz vorsichtig, dennoch verkrampft sich in ihr alles. Es fühlt sich falsch an.

Überhaupt hat Sigrid immer wieder "Gefühle". Sie träumt vor allem in unregelmäßigen Abständen vom Braunen, der ihr den Tod ankündigt. Drei Tage nach dem Traum stirbt ein Mensch in ihrer Nähe, jemanden, den sie gut kennt. Der Braune scheint sie warnen zu wollen, aber sie versteht ihn nicht. Wer ist diesmal gemeint? Und wie wird er umkommen? Auch Franz konnte sie nicht warnen. Sein Auto fuhr ungebremst auf einen Baum. Absicht oder Unfall?

Seitdem muss Sigrid allein klar kommen - sie und ihre achtjährige Tochter Nicole. Sie hat Mühe, das große Haus allein zu halten. Deshalb sucht sie eine Untermieterin, die sie auch mit großem Glück findet. Eine Idealbesetzung, die sich auch noch um ihre Tochter kümmert, während sie arbeitet. Die sogar im Haushalt hilft, die fast eine Art Ersatzmutter für Sigrid ist. Als diese wiederum auszieht, muss Sigrid schnell einen Nachmieter finden. Und obwohl sie unbedingt wieder eine ältere Frau dafür haben will, läßt sie sich von ihrer Mutter überrumpeln und vergibt die Wohnung an den doch so netten und stillen Herrn Genardy.

Aber von Anfang an ist ihr nicht wohl dabei. Ihre Wohnung ist nicht abschließbar, er kann jederzeit hereinplatzen. Und man hört ihn auch kaum, als ob er nur rumsitzt und lauscht. Und er ist so übertrieben liebenswürdig zu Nicole und ihrer Freundin Denise, die bald nicht mehr zu den Pelzers nach Hause kommen will. Ist es vielleicht wegen Herr Genardy?

Noch bevor Herr Genardy einzieht, verschwindet die kleine Tochter Nadine von Sigrids Kollegin Hedwig und drei Tage später wird sie tot aufgefunden - missbraucht. War Nadine gemeint, als der Braune das Letzte mal im Traum auftaucht? Aber Sigrid kennt sie doch kaum, auch stimmt der Todeszeitpunkt nicht. Oder ist vielleicht Herr Genardy selbst der Tod, den sich Sigrid ins Haus geholt hat?

"Der stille Herr Genardy" ist ein hochspannendes Buch, welches dennoch sensibel mit dem Thema Kindesmissbrauch umgeht. Im ersten Teil wechseln sich die Erzählperspektiven von Sigrid und Herr Genardy ab. Von Anfang an wird kein Zweifel an der Veranlagung des Genardy gelassen. Danach sieht man nur noch Sigrids Sicht - wie sie mit sich kämpft, mit ihren Visionen, mit ihrer Verantwortung zu ihrer Tochter, mit ihrer Hilfslosigkeit. Sie hat keine Beweise, aber ihr Gefühl überfällt sie, hält sie gefangen. Beklemmend ist das. Man möchte sie immer wieder schütteln, warum sie nichts sagt, warum sie ihre Ängste niemandem anvertraut.

Sie macht langsame Schritte, wägt ab. Erzählt irgendwann ihrem neuen Freund Günther von Franz und seiner Veranlagung. Sie weiß, wie so jemand tickt. Aber Franz hat kein Kind angefasst, dessen ist sich Sigrid sicher. Wie ist also einer, der nicht an sich halten kann, der eine echte Gefahr ist für ihr Kind? Was ist, wenn sie einen unschuldigen Menschen verdächtigt? Er ist doch immer so nett und zuvorkommend, der Herr Genardy.

Viel zu lange zögert sie. Aber irgendwann will sie es wissen, will es allein lösen, will erwachsen werden und es sich selbst beweisen: daß sie keinen Franz mehr braucht.

Unbedingt lesen!

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Dienstag, 11. September 2012

Herman Koch: Sommerhaus mit Swimmingpool

345 S., Büchergilde Gutenberg, ISBN 978-3-7632-6506-0

Ich brauchte eine Weile bis ich warm wurde mit dem Roman um den Hausarzt Marc Schlosser, der wegen eines möglichen Kunstfehlers sich vor der Ärztekammer verantworten muss.

Marc Schlosser erzählt in der Ich-Form und anfangs fragte ich mich, worauf die Geschichte hinausläuft. Unsympathisch ist er mir gewesen, oberflächlich, satt und so gar nicht humanistisch, wie man sich einen Arzt wünscht und vorstellt. Er betreibt eine Privatpraxis, in der er nur noch bedeutende Personen, vor allem Künstler behandelt. So arrogant und flach seine Patienten, so abgebrüht der Arzt.

Einerseits macht er sich lustig über die Zipperlein seine Ikonen, andererseits scheint er selbst nicht besser zu sein. Er meidet den privaten Kontakt zu diesen Menschen bis er dem Temperament des Schauspielers Ralph Meiers erliegt und einer Einladung zu einem Fest folgt, der der Anfang einer Verkettung unheilvoller  Ereignisse ist.

Dass Ralph Meier das Opfer des Kunstfehlers ist, steht bereits zu Beginn fest. Aber erst als beschrieben wird, wie dieser seine Blicke über die weiblichen Begleiter gleiten läßt, ahnt man, dass das Ableben des Künstlers vielleicht noch andere Ursachen hat.

Die Geschichte nimmt Fahrt auf und am Ende konnte ich das Buch gar nicht weglegen: Die Familie Schlosser trifft im Sommer nicht ganz zufällig auf die Familie Meier. Die beiden halbwüchsigen Mädchen des Arztes freunden sich mit den Meier-Jungs an, die im passenden Alter sind. Während Caroline Schlosser sehr abgeneigt ist von der neuen Bekanntschaft ihres Mannes, ist dieser umso mehr interessiert an der Gattin des Schauspielers.

Vor Ort ist auch noch ein amerikanisches Pärchen, er Filmregisseur, sie blutjunges Modell - zu jung für diesen Mann. Man speist miteinander, man hat Spaß, Anzüglichkeiten werden ausgetauscht, mal heimlich, mal halb offen. Bis diese Stimmung eines Abends eskaliert...

Mit Fortschritt des Romans entwickelt sich Marc Schlosser vom Unsympath zu einem sorgenden Familienvater. Man versteht ihn immer mehr und fragt sich, ob man in der Situtation, in die er hineingerät, die das Leben seiner ganzen Familie für immer ändern wird, genauso handeln würde.

Ein lesenswertes Buch um die Fragen nach Moral, Menschlichkeit und deren Grenzen.

Freitag, 7. September 2012

Hermann Hesser: Der Steppenwolf

184 S., Aufbau Verl., 1986

Hesses Klassiker wird nach wie vor vorwiegend von jungen Menschen gelesen. Ich selbst habe Jahre gebraucht, das in meinem Bücherregal stehende Werk zur Hand zu nehmen. Und das war gut so! Man muss sich Zeit nehmen für den "Steppenwolf".

Ich kann verstehen, dass gerade Jugendliche, die rebellisch sind und sich abgrenzen wollen von den bürgerlichen Elternhäusern, in dem Roman sich selbst sehen. Aber Harry Haller ist selbst gar nicht mehr jung, er ist gezeichnet vom Leben, von Erfahrungen, von Enttäuschungen. SeineTraurigkeit, seine "Krisis" - wie Hesse selbst schreibt - ist erst entstanden durch die jahrelange Frustration über die kranke, satte Welt. Und dies kann ein junger Mensch ohne Lebenserfahrung noch nicht so wahrnehmen, wie ein Leser in mittleren Jahren.

Das Werk hat seine Berechtigung für jeden und Hesse schreibt: "Ich kann und mag natürlich den Lesern nicht vorschreiben, wie sie meine Erzählung zu verstehen haben. Möge jeder aus ihr machen, was ihm entspricht und dienlich ist! Aber es wäre mir doch lieb, wenn viele von ihnen merken würden, daß die Geschichte des Steppenwolfes zwar eine Krankheit und eine Krisis darstellt, aber nicht eine, die zum Tode führt, nicht einen Untergang, sondern das Gegenteil: eine Heilung." Und so endet der "Steppenwolf" auch nicht mit dem Tod, sondern mit der Erwartung, "das Lachen zu lernen".

Die Handlung ist schwer zu beschreiben: Harry Haller lebt allein in einer Pension und hadert mit dem Leben. Gesellschaft ist im zuwider, nur hin und wieder geht er einen Wein trinken in einem Café und nimmt eine Einladung eines Professors an. Doch immer kehrt er niedergeschlagen zurück, merkt er doch wie anders er ist, wie oberflächlich seine Mitmenschen, wie bieder und zufrieden, während ihn nach Tiefe dürstet.

Doch eines Tages begegnet er der Lebedame Hermine, die ihn zum Freund erwählt und auf seltsame Weise sich ihm im Inneren verbunden fühlt. Sie denkt wie er und sie fühlt wie er, auch wenn sie nicht diegleiche Bildung hat. Ihm fehlt die Fähigkeit, die Freuden des Lebens zu finden und zu genießen - ihr fehlt das Wissen, die Intellektualität. Und so versucht sie ihn, an sich zu binden, macht einen Deal mit ihm. Er soll das Tanzen lernen, die Frauen lieben lernen und sie will eines Tages durch seine Hand sterben.

Für mich ist Hermine die eigentliche Heldin der Erzählung. Alles was Harry diffus fühlt und denkt, kann sie in Worte fassen und läßt den Leser mit offenem Munde zurück. Sie hat verstanden durch Beobachten nicht durch Zurückziehen. Sie zieht nur leider die falschen (weil zu harten) Konsequenzen.

"Der Steppenwolf" ist zeitlos und wird wohl noch in hundert Jahren ebenso lesenswert sein, vor allem für all diejenigen, die sich nicht zufrieden geben mit Konsum, mit dem "kleinen" Leben, sondern die Moral in seinem eigentlichen Sinne, Intellekt und Würde suchen - die ewig Unruhigen.

Freitag, 31. August 2012

Viele werden den "Steppenwolf" nie verstehen ...

... allen anderen sei dieses Zitat ans Herz gelegt. Hermine ist ab sofort meine größte Heldin der Literaturgeschichte!

"Das Leben, dachte ich, muss doch schließlich immer recht haben, und wenn das Leben meine schönen Träume verhöhnte, so dachte ich, es werden eben meine Träume dumm gewesen sein und unrecht gehabt haben. Aber das half gar nichts. Und weil ich gute Augen und Ohren hatte und auch etwas neugierig war, sah ich mir das sogenannte Leben recht genau an, meine Bekannten und Nachbarn, fünfzig und mehr Menschen und Schicksale, und da sah ich, Harry: meine Träume hatten recht gehabt, tausendmal recht, ebenso wie deine. Das Leben aber, die Wirklichkeit, hatte unrecht. Dass eine Frau von meiner keine andere Wahl fand, als an einer Schreibmaschine im Dienst eines Geldverdieners ärmlich und sinnlos zu altern .... Glaubst du, ich könne deine Angst vor dem Foxtrott, deinen Widerwillen gegen die Bars und Tanzdielen, dein Sichsträuben gegen Jazzmusik und all den Kram nicht verstehen? Allzu gut versteh ich sie, und ebenso deinen Abscheu vor der Politik, deine Trauer über das Geschwätz und verantwortungslose Getue der Parteien, der Presse, deine Verzweiflung über den Krieg, über den gewesenen und über die kommenden, über die Art, wie man heute denkt, liest, baut, Musik macht, Feste feiert, Bildung betreibt! Recht hast du, Steppenwolf, tausendmal recht, und doch musst du untergehen. Du bist für diese einfache, bequeme, mit so wenigem zufriedene Welt von heute viel zu anspruchsvoll und hungrig, sie speit dich aus, du hast für sie eine Dimension zuviel. Wer heute leben und seines Lebens froh werden will, der darf kein Mensch sein wie du und ich. Wer statt Gedudel Musik, statt Vergnügen Freude, statt Geld Seele, statt Betrieb echte Arbeit, statt Spielerei echte Leidenschaft verlangt, für den ist diese hübsche Welt keine Heimat..."

Aus: Hermann Hesse: Der Steppenwolf, Aufbau-Verlag, 1986 (Taschenbibliothek der Weltliteratur), S. 120 f.

Mittwoch, 22. August 2012

Wolfgang Herrndorf: Sand

474 S., Rowohlt, 19,95 €, ISBN 978-3-87134-734-4


Der Roman "Sand" von Wolfgang Herrndorf steht seit ein paar Tagen auf der Long List für den Deutschen Buchpreis 2012. Mit "Tschick" gelang Herrndorf vor ein paar Jahren ein absoluter Volltreffer: ein überaus witziges Jugend-Road-Movie mit kuriosen Aussenseiter-Gestalten.

Entsprechend gespannt war ich auf sein neuestes Werk. "Sand" ist ein Buch ganz anderer Art und man tut sich schwer damit, es in eine Schublade zu packen: am ehesten ein Thriller, gewürzt mit politischen Motiven und zwielichtigen Akteuren.

Herrndorf legt dem Leser Fäden in die Hand - vielschichtige - die lange Zeit nicht zusammen passen wollen. Da ist zum einen ein Massaker an vier Bewohnern einer Hippie-Kommune in der nordafrikanischen Wüste Anfang der 70er Jahre. Aufklären sollen dies zwei wenig motivierte Kommissare, die eigentlich selbst nicht wissen, worum sie gerade in diesen Land gelandet sind.

Dann taucht eine blonde Amerikanerin auf, die zwar blond und ihrem Aussehen nach für wirklich dumm gehalten werden könnte, jedoch sich am Ende als eine Schlüsselfigur entpuppen soll. Angeblich ist sie im Land um für eine Kosmetikfirma vor Ort zu arbeiten. Zufälligerweise kennt sie aber aus Jugendtagen eine Bewohnerin der besagten Kommune.

Und als dritter Faden wird ein Halb-Araber mit Gedächtnisverlust ins Rennen geschickt, der offensichtlich niedergeschlagen wurde und sich so gar nicht erinnern kann, wer er ist und warum er verfolgt wird. Lediglich ein alter Schuppen, wo er ein Gespräch seiner Verfolger belauschte und einen Toten findet, sind Anhaltspunkte.

Auch im Laufe der Geschichte kommen weitere Indizien nur sehr spärlich hinzu. Die Amerikanerin Helen, die den Araber (genannt Carl) in der Wüste aufliest, versucht zu helfen, verhält sich aber selber höchst suspekt.

So nimmt die Geschichte ordentlich Fahrt auf und es wird eine hohe Spannung aufgebaut, die am Ende den Leser aber unzufrieden und nur teilweise aufgeklärt zurück lässt. So ungewöhnlich, geradezu amüsant Herrndorf seine Figuren zeichnet und es versteht, den Leser in der Geschichte zu halten - einen Sog erzeugt, dem man sich bald nicht mehr entziehen kann, so enttäuscht ist man am Ende, wenn die Fäden immer noch nicht zusammenlaufen.

Nach einigem Rückblättern und nochmaligem Nachlesen erklären sich mir ein paar Fakten:

  • wer ist Carl wirklich? (Obwohl das nie explizit aufgelöst wird.)
  • gibt es seinen Kumpan Cetrois überhaupt?
  • welche Rolle spielt Helen in dem Ganzen?
Jedoch gibt es noch viel mehr Fragen als Antworten am Ende. Herrndorf schafft es nicht, seine Fäden zu entwirren, vielmehr verheddert er sich mit zahlreichen Einzeleinfällen und vergisst die plausible Auflösung.

Ich habe das Buch bis zur letzten Seite mit Hochspannung gelesen. Insofern kann ich es nicht schlecht bewerten. Und wenn ich es jetzt direkt noch einmal von vorn beginnen würde, vielleicht wäre mir dann Erleuchtung beschieden. Aber dennoch bin ich nicht überzeugt und hätte dem Buch einen couragierten Lektor gewünscht, der den hoch gefeierten Autor wieder auf den Weg bringt.

P.S. Nach dem Lesen der im Kommentar empfohlenen Kritik, die Aufklärung über viele Details enthält, muss ich meine Meinung ein wenig revidieren. Als aufmerksamerer Leser als ich wurden die Fakten greifbar ausgebreitet, man musste sie wohl nur nehmen.

Für mich heißt das: ich muss wohl doch noch einmal das Buch zur Hand nehmen, wenn auch nicht sofort, aber vielleicht in den nächsten Monaten irgendwann.


Sonntag, 12. August 2012

Daniel Biasini: Meine Romy

295 S., Langen Müller, ISBN 978-3784426877

Ich bin nicht der begeisterte Biografien-Leser und schon gar kein Kenner dieses Genres. So ist es wieder mal Zufall, dass ich diesen Band in die Hände bekam (durch unser Firmen-Buch-Tauschregal). Von Romy Schneider allerdings war ich immer sehr angetan. Ich halte sie für eine der besten deutschsprachigen Schauspielerinnen und ganz besonders beeindruckt hat mich immer ihre tolle Ausstrahlung, ihr Charme und ihr Natürlichkeit, die ich von keiner zweiten Schaupielerin kenne.

Das vorliegende Buch wurde in Co-Autorenschaft von ihrem zweiten Mann Daniel Biasini verfasst und der Titel läßt erahnen, dass es sich um eine sehr subjektive Sicht auf die Ikone Romy Schneider handelt. So weit, so gut und durchaus legitim und richtig. Objektivität ist eh in Biografien fehl am Platze, da kein Mensch in einem anderen drin steckt.

Beschrieben wird somit vor allem die Zeit zwischen 1972 und 1982, in der die beiden sich kennen und lieben lernten, die gemeinsame Tochter Sarah Biasini zur Welt kam, der dramatische Tod des ersten Sohnes David und ihre Trennung unvermeidbar wurde

Doch von Anfang an stört mich etwas an diesem Buch. Biasini ist in einer permanenten Verteidigungsposition. Alle anderen Biografienschreiber sind in seinen Augen Dummköpfe und Emporkömmlinge. Sogenannte "Vertraute" von Romy kannten sie gar nicht näher und haben alle Lügen erzählt. Daniel Biasini nimmt eine Opferrolle ein und stellt seine eigenen Fehler nur in ein paar Worten am Rande dar.

Außerdem versucht er einige Tatsachen ins rechte Licht zu rücken, so z. B. soll Romys Fehlgeburt nicht die Folge eines Autounfalls sein, sondern einer falsch behandelten Zahnentzündung. Er selbst hätte nicht auf Kosten von Romy gelebt, sondern lediglich auf ein gemeinsames Konto Zugriff gehabt, von dem hauptsächlich die Kosten für den Haushalt abgingen. Er selbst soll angeblich bis an sein Lebensende die Steuerschulden Romy Schneiders abtragen.

Nun will ich mir nicht anmaßen, was der Wahrheit entspricht und was nicht. Schon gar nicht, da ich mich bisher mit Romy Schneiders Person so gut wie gar nicht befasst habe. Dennoch bleibt beim Lesen ein fader Beigeschmack: das Buch wirkt wie ein gewollter Befreiungsschlag, der Romys letzten Ehemann in einem besseren Licht erscheinen lassen soll als es wohl bis dato der Fall war.

Das ist sicher sein gutes Recht, aber mich hat das beim Lesen die Ganze Zeit gestört. Auch die Tatsache, dass er am Ende gar nicht wirklich begründen kann, woran die Ehe nun gescheitert ist (nur an Romys mangelndem Selbstbewußtsein, an ihrem Problem des altersmäßigen 11jährigen Unterschiedes der Beiden?). Und ebenso bleibt Biasini sehr zurückhaltend in der Frage: warum starb Romy Schneider so früh? Er will sich nicht an Spekulationen beteiligen, was sicherlich positiv zu bewerten ist. Jedoch sind seine Erklärungen zum wiederkehrenden Medikamtenmissbrauchs auch während ihrer Ehe mehr als dürftig.

Ich würde dennoch nicht von einer Lektüre dieser Biografie abraten, stellt sie doch eine intime Betrachtung der Privatperson Romy Schneiders in ihren wichtigsten künstlerischen Jahren in Frankreich dar, in der sie zur ganz Großen wurde. Private Fotos, hauptsächlich auf dem Bauernhof in Ramatuelle aufgenommen, bezeugen eine glückliche und in ihrer Familie aufgehende Frau, die es noch schwerer zu verstehen machen, warum sie ein paar Jahre später viel zu früh aus dem Leben schied.

Sonntag, 5. August 2012

Arnaldur Indriðason : Frevelopfer

380 S., Bastei Lübbe, 8,99 €, ISBN 978-3-404-16611-4 

Das Isländer auch Krimis schreiben, war mir bis vor kurzem noch neu. Ich weiß gar nicht, wer mir Indriðason als Autor ans Herz gelegt hat, aber auf meinem Wunschzettel stand eigentlich ein anderes Werk: "Abgründe". Zum Geburtstag bekam ich dann aber "Frevelopfer" geschenkt, welches nun mein erster Indriðason wurde. 

Es ist der 9. Fall der "Kommisar Erlendur"-Reihe, in dem derselbige allerdings so gut wie keine Rolle spielt. Seine Kollegin Elínborg ermittelt in einem Fall eines ermorderten jungen Mannes, der mit durchgeschnittener Kehle, einem zu kleinen T-Shirt bekleidet und Rohypnol in der Hosentasche aufgefunden wird. Das Rohypnol ist bekannt als Beruhigungsmittel, aber auch als sogenannte Vergewaltigungsdroge, da es vermischt mit Alhohl zu einem totalen Gedächtnis- und Kontrollverlust führt. 

Schnell sind Elínborg und ihr anderer Kollege sich einig, dass es sich hierbei wohl um einen Racheakt handelt. Der Tote namens Runólfur hat vermutlich junge Frauen mit diesem Mittel willenlos gemacht und sie vergewaltigt und jemand hat sich an ihm gerächt, indem er ihn ebenfalls diese Zeug schlucken ließ.

Lange Zeit bekommt die Polizei allerdings nicht viel heraus - weder über Runólfur, der als freundlicher, unbescholtener Bürger bekannt ist - noch über die Frau, mit der er am Tag des Todes noch Geschlechtsverkehr hatte. Ist sie die Mörderin? Am Tatort fand sich noch ein Tuch mit einem ungewöhnlichen Geruch, dem Geruch nach Tandoori - einer indischen Gewürzmischung.

Zumindest ist dies ein Anhaltspunkt, ebenso die Zeugenaussage einer etwas verwirrten Frau, die einen Mann mit einer "Antenne" am Bein zum Tatzeitpunkt in der Nähe der Wohnung des Opfers gesehen haben will.

Schleppend sind die Ermittlungen. Zeitweise spielen mehr die Familienverhältnisse der Kommissarin eine Rolle - ihre pubertierenden Kinder, ihre Leidenschaft fürs Kochen, die ihr in diesem Fall sehr weiterhilft. Zwischendurch ist auch die Rede des vorhin bereits erwähnten Kollegen Erlendur, der zu einem Urlaub weilt, aber gleichzeitig für niemanden erreichbar ist und die Sorge um ihn zunehmend wächst.

Insgesamt hat mich der Krimi nicht überzeugt. Das lag an zwei Dingen, zum einen fand ich die eigentliche Krimihandlung zu offensichtlich, die Fährten zu plump gelegt, die offenen Fäden und Ungereimtheiten teilweise am Ende nicht aufgelöst. Da habe ich schon wesentlich Besseres gelesen.

Zum anderen - und das trägt sicherlich auch zum ersten Störfaktor bei - ist die Sprache sehr einfach und wenig virtuos. Gerade nach dem Genuss eines vortrefflichen Romans fiel es mir schwer, mich mit dieser Schlichtheit anzufreunden. Sicher erwartet man von Krimis keine literarische Höchstleistung, aber auch hier bin ich von z. B. Elizabeth George eine andere Klasse gewohnt.

Indriðason versucht in seiner Reihe die klassischen Muster zu bedienen: die Kommissare bekommen ein Profil und dies wird (vermutlich) von Roman zu Roman weiter verfolgt. Vielleicht konnte ich deshalb auch einiges im Buch nicht nachvollziehen. Und vielleicht wurden deshalb auch nicht alle Fäden zu Ende gesponnen. Es reizt mich allerdings nicht allzusehr, diese wieder aufzunehmen - so spannend waren sie dann doch nicht.

Gut gefallen hat mir hingegen, dass dem Autor mit der Kommissarin Elínborg eine Figur gelungen ist, die mitten im Leben steht. Sie hat kein Alkoholproblem wie Harry Hole bei Nesbo, sie ist kein einsamer Wolf wie Wallander und kein Adliger wie Thomas Lynley. Auch die Aufklärung des Falles ist nicht spektakulär, sondern vielmehr große Routinearbeit: das Überprüfen von sämtlichen Verbindungen zum Opfer, zu den gefundenen Gegenständen und immer wieder Nachhaken und unter Druck setzen der Verdächtigen. Dabei geht es aber ganz ohne Action und Gewalt zu. Und manches bleibt eben auch unaufgeklärt, trotz guter Polizeiarbeit, weil einfach nach einer gewissen Zeit kein Beweis mehr vorrätig ist, um einen Täter dingfest zu machen.

Ebenfalls positiv fand ich die Kochleidenschaft der Kommissarin, die meiner eigenen sehr entspricht. So mochte ich die Ausflüge, die sie in ihre Küche macht - manch anderen mag dies langweilen.

Sonntag, 29. Juli 2012

Zeruya Shalev: Für den Rest des Lebens

520 S., Berlin Verlag, 22,90 €, ISBN 978-3-8270-0989-0

Auf der Leipziger Messe war mein Highlight das Interview mit Zeruya Shalev zu ihrem neuen Buch "Für den Rest des Lebens", welches ich mir natürlich vor Ort auch gleich zulegen musste.

Shalevs vorhergehende Werke "Mann und Frau", in der es um eine Trennung eines Paares nach vielen Jahren geht; "Liebesleben", worin die Autorin die obsessive Liebe einer jungen Frau zu einem wesentlich älteren Mann beschreibt und "Späte Familie", die Geschichte einer sich neu findenden Patchwork-Familie haben mich alle begeistert und so kann man mich getrost als Fan der israelischen Star-Autorin bezeichnen.

Umso gespannter war ich auf ihren neuen Roman und bin nicht enttäuscht worden. Die Geschichte vereint die Geschichte dreier Familienmitglieder: der Mutter Chemda, die dem Ende ihres Lebens entgegen sieht und dieses Revue passieren läßt und versucht, ihren Frieden mit dessen Verlauf, den sie lange Zeit in einem Kibbuz verbrachte, zu finden. Der zweite Hauptdarsteller ist Chemdas Sohn Avner, den sie mehr liebte als ihre Tochter Dina, die Dritte im Bunde.

Avner hadert mit seinem Leben. Obwohl er als erfolgreicher Anwalt für Menschenrechte arbeitet und eine Familie mit zwei Söhnen hat, ist er zutiefst unzufrieden, möchte ausbrechen aus einer lieblosen Ehe, die er viel zu früh eingegangen ist. Er möchte am Ende seines Lebens mit Liebe aus demselben scheiden, so wie er es am Nachbarbett seiner kranken Mutter im Krankenhaus bei einem Paar erleben durfte. Er verliebt sich in die zurückbleibende Geliebte des Sterbenden, sie ist für ihn aber unerreichbar.

Dina ist die ungeliebte Tochter und liebt vielleicht deshalb ihre einzige eigene Tochter umso mehr. Weil sie deren Zwilling noch vor der Geburt verlor und weil die Tochter sich im pubertären Alter immer mehr von ihr entfernt, entsteht bei ihr der unausweichliche Wunsch nach einem weiteren Kind. Und da sie bereits in dem Alter ist, wo ihr eigene Kinder nicht mehr vergönnt sind, möchte sie ein fremdes Kind adoptieren. Mit diesem Wunsch stößt sie jedoch auf steinharten Widerstand bei ihrem Mann und zuerst auch bei der Tochter.

Zeruya Shalev zeigt in allen drei Mitgliedern die tiefe Verbundenheit mit der eigenen Familie, egal, ob man versucht, die Verbindung zu kappen, egal wie enttäuscht man manchmal ist. Am Ende ist diese Verbindung stärker als alles Andere und hilft über Krisen hinweg.

Wie tief blickt die Autorin in die Seelen ihren Figuren, macht Unverständliches verständlich. Ich bewundere dieses psychologische Einfühlungsvermögen und staune, wie Shalev es in all ihren Büchern schafft, den Kern menschlichen Handels zu erspüren. Als Leser findet man sich in allen Personen wieder: im Zweifel, in der Hoffnung, im Hadern und in der Emanzipation. Ich trage all dies in irgendeiner Form selbst in mir, kenne Situationen, in denen ich ähnlich empfunden oder gedacht habe. Und daraus entsteht eine tiefe Verbundenheit mit den Figuren, die einen auch lange nach Beenden der Lektüre noch nachklingen.

Ich kann allen nur wärmstens die Werke von Zheruya Shalev ans Herz legen. Wer sie noch nicht entdeckt hat - es wird Zeit.


Sonntag, 22. Juli 2012

Alex Capus: Léon und Louise



320 S., Hanser, 19,90 €, ISBN 978-3446236-301

Hier erzählt Alex Capus die Geschichte von Léon, die angelehnt ist an  die reale Geschichte seines Großvaters. Als junger Mann verliebt sich Léon in ein Mädchen namens Louise. Louise hat das Herz auf dem rechten Fleck und spricht aus, was sie denkt. Diese Geradlinigkeit beeindruckt Léon und er versucht ihr Herz zu erobern.

Als sie endlich ein Paar werden, geschieht auch schon das Unglaubliche: durch einen Luftangriff werden sie getrennt. Beide überleben, denken aber vom jeweils anderen, dass er tot ist. Bis sie sich viele Jahre später zufällig in der U-Bahn wieder begegnen.

Léon ist inzwischen verheiratet und hat Kinder. Louise hingegen lebt allein und arbeitet bei der Banque de France als "Tippmansell". Beide wissen, dass sie nicht einfach da weitermachen können, wo sie damals aufgehört haben. Léon ist ein pflichtbewusster Mann und schätzt seine Frau Yvonne sehr.

Der Roman erstreckt sich über viele Jahre. Léon und Louise verlieren sich immer wieder aus den Augen und begegnen sich doch wieder. Der zweite Weltkrieg kommt dazwischen und Louise verläßt sogar den Kontinent. Sie schreibt ihm Briefe, er versucht, soweit es geht über die Besatzungszeit in Paris zu kommen.

Die Liebesgeschichte der beiden spielt zwar eine große Rolle in dieser Geschichte, aber auch das Leben und Überleben in Zeiten zweier Weltkriege wird sehr bewegend geschildert. Das Besondere an dem Buch ist aber die Sprache. Ich kann sie kaum beschreiben, leicht und beschwinglich vielleicht - dem Thema teilweise gar konträr. Sie trägt den Leser über Höhen und Tiefen, man versinkt und möchte gar nicht auftauchen. Man fiebert der nächsten Begegnung des heimlichen Liebespaares entgegen und staunt über die kleinen Widerstände, die ein kleiner Polizeibeamter wie Léon gegenüber der deutschen Besatzungsmacht übt, obwohl er Kopf und Kragen riskiert.

Louise hingegen sitzt in Afrika fest und erlebt ein völlig anderes Leben - bis der Krieg vorbei ist und die Beiden sich wieder finden.

Ein ungeheuer einfühlsamer Roman, der ans Herz geht. Aus meiner Sicht endlich mal ein Buch, welches zu Recht seit Wochen auf den Bestsellerlisten ist..


Montag, 16. Juli 2012

Hans Fallada: Kleiner Mann, was nun?

396 S., Aufbau Verl., 9,99 €, ISBN 978-3-746626765

Es ist schon länger her, dass ich meinen letzten Fallada in der Hand hatte. Umso mehr habe ich mich über die Neuauflage einiger Klassiker des deutschen Schriftstellers gefreut und "Kleiner Mann, was nun?" habe ich zum Welttag des Buches von einer Kollegin erhalten.

Es ist die Geschichte des kleinen Angestellten Pinneberg und seiner Frau Lämmchen, die einen "Murkel" als Nachwuchs erwarten. Bereits am Anfang der Geschichte sieht es nich rosig aus mit den Finanzen der werdenden Familie. Pinneberg arbeitet als Buchhalter in einem Saatbetrieb und bekommt dafür bereits wenig Geld, obwohl er eigentlich Verkäufer für Herrenkonfektion ist.

Lämmchen kann aufgrund ihres Zustandes nichts dazu verdienen und von den Eltern der beiden ist auch nichts zu erwarten. Sie suchen eine Wohnung, was sich gar nicht so einfach gestaltet und Lämmchen ist über die erste Wahl ihres Mannes auch nicht gerade begeistert. Deshalb schreibt sie einen Brief an dessen Mutter, die wiederum die beiden nach Berlin einlädt und behauptet, eine Stellung für den Jungen in der Konfektionsabteilung des Kaufhauses Mandel besorgt zu haben.

Daraus wird nach einiger Mühe und Kriecherei dann doch noch etwas, aber viel mehr als vorher verdient Pinneberg hier auch nicht. Und das Zimmer bei seiner Mutter ist teurer als die kleine Wohnung in Ducherow, wo die beiden vorher lebten.

Immer geht es ums Geld, Lämmchen und Pinneberg jonglieren, planen und kommen auch irgendwie zurecht. Dann kommt der Murkel zur Welt und Pinneberg erscheint ein paar Mal zu spät zur Arbeit, was ihn bald den Job kostet.

Danach geht es nur noch bergab und der Roman endet leider ohne Hoffnung: die Arbeitslosigkeit in der Weltwirtschaftskrise hat die Pinnebergs fest im Griff.

Fallada gelingt es, dem "kleinen Mann" eine Stimme zu geben. Sorgen und Nöte, die die kleine Familie beschäftigt, tragen wirklich einen ganzen Roman und man leidet mit ihr mit. Ich kann den Roman wirklich nur empfehlen. Die "Berliner Schnauze" liest sich trotz des Alter des Buches noch sehr aktuell.

Also: keine Angst vor Klassikern!