Montag, 20. September 2010

Jo Nesbo: Schneemann

488 S., Ullstein, 19,90 €, ISBN 978-3-550-08757-8

In sehr unorthodoxer Reihenfolge landen die Teile der Jo Nesbo-Reihe bei mir. Jetzt habe ich den letzten erschienenen Band gelesen ohne bisher den ersten Einstiegskrimi zu kennen.

Diesmal muss Harry es wie in dem Fall, mit dem er berühmt geworden ist, mit einem Serienmörder aufnehmen. Dieser spielt ein sehr perfides Spiel mit Harry und legt verschiedene Fährten, die sich nach und nach alle als falsch herausstellen.

Zunächst handelt es sich eigentlich um Vermisstenfälle. Verheiratete Frauen mit Kindern verschwinden. Vor deren Haus stehen Schneemänner und diese werden immer aus dem ersten Schnee des Jahres gebaut. Nach und nach tauchen aber auch die Leichen auf, teilweise auch nur Teile von ihnen.

Alle Kinder der Frauen waren in einer Praxis in Behandlung. Spielt eine seltene genetische Erbkrankheit als Motiv eine Rolle oder ist der behandelnde Arzt gar selbst der Täter?

Selbst Harrys neue Kollegin Katrine Bratt gerät zeitweilig in Verdacht, der "Schneemann" zu sein, wie der Serientäter bald genannt wird. Warum ermittelt sie auf eigene Faust und schreckt auch nicht vor Gewalt zurück? Jagt sie auf unkonventionelle Weise den Killer oder ist sie es selbst? Und welche besondere Verbindung besteht zwischen ihr und dem vor Jahren ebenso verschwundenen Polizisten Rafto?

Nebenher wird natürlich wie immer der Faden von Harrys Privatleben und seine innere Zerrissenheit weitergesponnen. Seine große Liebe Rakel scheint unerreichbar, denn sie lebt inzwischen mit Mathias, einem Arzt zusammen und beabsichtigt sogar, diesen zu heiraten. Harry erträgt diese Situation und den Druck der Ermittlungen nur schwer und greift wieder zur Flasche, jedoch ohne gänzlich abzurutschen. Dabei verliert er nicht den klugen Blick, den er braucht, denn am Ende ist sogar Rakel vom Schneemann bedroht.

Für mich ist dieser Harry-Band einer der besten, die ich bisher gelesen habe. Viele verschiedene Spuren lassen die Handlung immer wieder spannend bleiben und bis kurz vor Schluss hat der Leser kaum die Chance, den Täter zu erraten. Ein Krimi mit Überraschungsmomenten - so, wie es sein soll.

Sonntag, 12. September 2010

Juli Zeh: Corpus delicti



263 S., Büchergilde Gutenberg, 16,90 €, ISBN 978-3-7632-6240-3

Ich bin ja bekanntlicherweise ein Fan von Juli Zeh. Ihre Werke "Adler und Engel", "Spieltrieb" und zuletzt das Sachbuch "Angriff auf die Freiheit" habe ich verschlungen. Ich bin beeindruckt von Ihrem Engagement und ihrer klaren Positionierung, die sie bei jeder Gelegenheit öffentlich macht.

Deshalb war ich auch sehr gespannt auf diesen Science-Fiction-Roman, in dem sich Juli Zeh mit dem Gesundheitssystem auseinandersetzt, welches immer mehr der zentralen Kontrolle unterliegt. Sie spinnt den Faden der gesundheitlichen Datenerfassung via elektronischer Gesundheitskarte weiter und treibt diese Idee auf die Spitze.

In ihrer Zeit, Mitte der 21. Jahrhunderts (also gar nicht in allzuferner Zukunft), sind jedem Mitglied der Gesellschaft ein Gesundheitschip eingesetzt, auf dem alle Daten der Gesundheitsvorsorge erfasst sind. Jederzeit können über den Chip Informationen über die Fitnessübungen, die Vorsorge- und Kontrolluntersuchungen der Menschen abgerufen werden. Stimmen diese Daten nicht, wird automatisch ein gesetzliches Verfahren eingeleitet, in dem sich der Delinquent rechtfertigen muss und ein Strafmass festgesetzt wird. Krankheiten existieren nicht mehr.

So geschieht es auch mit Mia Holl, deren Bruder sich nach einer Verurteilung wegen Vergewaltigung und Mordes das Leben nimmt. Er stand außerdem im Verdacht, einer "terroristischen" Vereinigung anzugehören, die sich gegen das bestehende System - genannt Die Methode - zur Wehr setzt.

Während Mia sich immer für eine angepasste Bürgerin und Verfechterin der Methode hielt, gerät sie mit dem Tod ihres Bruders in eine persönliche Krise und vernachlässigt ihre "bürgerlichen" Pflichten der Gesundheitsvorsorge. Da sie einfach nur ein paar Wochen ihre Ruhe haben will und sich zurückzieht, ist sie den Oberen suspekt und gerät in die Fänge der Justiz.

So unter Druck gesetzt wird sie zu einer Oppositionellen und sammelt fast unbeabsichtigt Anhänger um sich, die sich ebenfalls gegen das System auflehnen. Da sie eine Verurteilung nicht verhindern kann, will sie die Höchststrafe erreichen, um wenigstens als Märtyrerin zu gelten. Aber selbst das verhindert Die Methode.

Juli Zeh ist wieder einmal ein kluges Buch zu einem aktuellen gesellschaftspolitischen Thema gelungen, welches ich nur jedem Leser ans Herz legen kann. Ich hoffe sehr, von der derzeitig, meines Erachtens, besten deutschen Schriftstellerin noch viele solche Bücher zu lesen zu bekommen.