Dienstag, 23. August 2011

Jonathan Franzen: Freiheit

730 S., Büchergilde Gutenberg, 21,90 €, ISBN 978-3-7632-6385-1

Jonathan Franzen ist einer der bedeutendsten amerikanischen Gegenwartsautoren, die sich kritisch mit ihrem Heimatland auseinandersetzen. Große Literatur schafft es, in Geschichten Einzelner das große Ganze zu reflektieren und gleichzeitig zu unterhalten, Meinungen zu transferieren und damit den Leser zum Nachdenken zu bewegen.

Franzen ist ein Meister seines Faches, auch wenn er in meinen Augen manchmal zu sehr ausufert und für mich weniger meist mehr gewesen wäre. Aber seine Botschaften kommen an und sind keine plakative Schwarz-Weiss-Malerei. Er zählt zu den Autoren der Postmoderne und reiht sich ein in die Riege bekannter Namen wie T. C. Boyle, Paul Auster, John Irving, John Updike und Philip Roth.

Ich mag diese amerikanische Erzählweise. Nicht etwa das reißerische eines Dan Brown, sondern dieser Fluss einer sich langsam entwickelnden Geschichte, die einen nicht mehr losläßt, in der man die Charaktere mag, auch wenn sie noch so unsymphatisch beschrieben werden. Wir sind alle nur Menschen mit Schwächen, die bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger ausgeprägt sind. Auch sind die Akteure nicht statisch, sie entwickeln sich in der Geschichte, sind lernfähig, verletzbar - auch wenn sie anfangs unantastbar schienen. Es gibt keine Person in Franzens Roman, von dem man nicht irgendwo im Buch überrascht wird, weil er ganz anders agiert, als man vorher angenommen hat. Das macht das Ganze so lebendig, so real.

Nun aber noch ein paar Worte zur Handlung: Walter und Patty ziehen von St. Paul aus ihrer Villa nach Washington, nachdem in ihrer Familie einige feste Pfeiler ins Wanken geraten sind. Der gemeinsame Sohn Joey zieht mit 15 zu den proletenhaften Nachbarn, mit dessen Tochter er eine Art Verhältnis hat. Die Tochter Jessica ist bereits zum Studium in eine andere Stadt gezogen.

Befremdet vom Verhalten ihres Sohnes und zudem in den besten Midlife-Crisis-Jahren treten in der Ehe verborgene Leidenschaften, Verletzungen und lauter seltsame Macken zu Tage. Patty, einst gute Seele der Familie, Vorzeige-Ehe- und Hausfrau, verfasst zur Therapie eine Autobiografie, in der sie mit ihrer eigenen Familie, mit ihrer Sportlerkarriere und sich selbst abrechnet.

Walter beginnt sich irgendwann von seiner deprimierten Frau abzuwenden, gibt seinen Job auf und engagiert sich für eine Umweltorganisation mit fraglichen Methoden. Jeder in der Familie ist mit sich selbst beschäftigt, keiner scheint mehr Empathie für seine Mitmenschen zu hegen und doch entpuppt sich am Ende die Familie als einzig bewahrenswerter Ort der Zwischenmenschlichkeit.

Franzen packt in diese Familiengeschichte Gesellschaftskritik jeglicher Art: Umweltproblematiken, Überbevölkerung, Kapitalismus in Reinform und die Folgen des 11. September werden alle aufgegriffen und mit Statements versehen, mal bierernst von Walter vorgetragen, mal zynisch von Richard, dem besten Freund der Familie. Wie gesagt: mir war das manchmal zuviel. In einen Roman muss man nicht jede aktuelle Thematik abhandeln. Dennoch ist Franzen in meinen Augen wieder ein großes Werk gelungen - nach "Schweres Beben" und "Korrekturen", die ich beide ebenfalls mit Begeisterung gelesen.


1 Kommentar:

  1. Wie so viele habe ich auch Die Korrekturen gelesen. Ich mag ebenfalls sich langsam entwickelnde Geschichten. Ich werde sein neuststes Werk auf meine Leseliste setzen. Danke für dein Review.

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