Sonntag, 11. Dezember 2011

Thomas Wolfe: Schau heimwärts, Engel

781 S., Büchergilde Gutenberg

Der Klassiker von Thomas Wolfe ist Vorbild für viele amerikanische Autoren, die in ihren Werken die Familie als symbolische Grundlage des Amerikas der jeweiligen Zeit fungieren lassen. Wolfe beschreibt autobiografisch das Leben seiner Familie und in Eugen Gant, der Hauptfigur des Romans, findet sich sein Alter Ego wieder.

Mr. Gant - der Vater - ist ein jähzorniger Alkoholiker, die Mutter Eliza geschäftstüchtig bis geradezu geizig. Geprägt durch ihre Armut nach dem Kriege, versucht sie soviel Geld wie möglich zu sparen und anzuhäufen. Schlecht geht es ihnen nicht, aber es mangelt an Bildung und oft kommt es zu Streit um den Alkohol und die verpassten Chancen im Leben. Zu verschieden sind die beiden, deren Ehe für beide auch nicht die erste ist.

Die Kinder (insgesamt 10, die jedoch nicht alle überleben) leiden darunter und bilden bald Lager, als die Mutter auszieht, eine eigene Pension aufmacht und den Vater allein läßt. Die Verbindung der beiden Eltern bleibt zwar bis zum Tod mal mehr, mal weniger lose bestehen, aber die Familie existiert so nicht mehr. Helen, die einzige Tochter, kümmert sich aufopfernd um den Vater. Steve verfällt bald selbst unwiderbringlich dem Alkohl. Nur Eugene scheint es zu schaffen, wird er doch von einer Lehrerfamilie gefördert und auf ein College geschickt.

Doch dies führt nicht etwa zu Stolz bei den Eltern, sondern zu Mißgunst und Erbitterung unter allen Familienmitgliedern. Es wird um Geld gestritten und jede Verfehlung hoch gehängt. Solch eine Familie wünscht man sich nicht, dennoch halten sie in schweren Stunden zusammen, zum Beispiel als Bruder Ben an einer Lungenentzündung stirbt.

Gerazu obsessiv ist Wolfes Schreibweise, mal langsam wie ein Fluss fließend, beschreibend, mal stakkatoartig, all die Wut und Trauer verarbeitend. Das Ideal des Amerika, in dem alles möglich scheint, wird auf eindrucksvolle Weise an den Pranger gestellt. Oft fällt es dem Leser schwer, am Ball zu bleiben. Zu konfus und nebensächlich scheint die Erzählweise. Doch bald schon ist man wieder in den Bann gezogen, wird hineingerissen in den Strudel der Geschichte.

Gespickt hat Wolfe sein Werk mit zahlreichen Zitaten und humanistischem Bildungsgut in Anspielungen und Vergleichen. In der Ausgabe der Büchergilde Gutenberg gibt es einen umfangreichen Anhang mit allen Übersetzungen und Anmerkungen. Ich selbst habe mich darauf beschränkt, die wichtigsten Passagen nachzuschlagen, da sonst der Lesefluss arg gestört würde. Dennoch ist es löblich, diesen Reichtum an Wissen nicht zu unterschlagen und dem Leser nachvollziehbar zu machen.

Mir selbst liegen die neuen amerikanischen Autoren wie Jonathan Frantzen, Don deLillo und Wally Lamb wesentlich mehr. Deren Schreibstil ist moderner und kommt meinen Lesegewohnheiten einfach mehr entgegen. Auch kann ich deren Kritik an Amerika eher folgen als dem vergangener Tage. 

Dennoch: ein Klassiker, für den man sich Zeit und Ruhe nehmen sollte.


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